AG Leaks: Immer mehr Spuren Richtung ÖVP

[FM4] Der Skandal um antisemitische und neonazistische Postings wird immer mehr zum Problem der Jungen Volkspartei und damit auch von Sebastian Kurz.

[Erstveröffentlichung: FM4, 13.05.2017] „Gemeinsam mit unserem Bundesobmann Sebastian Kurz waren wir auch dieses Jahr wieder beim europäischen Forum Alpbach.“ So beginnt ein Bericht auf der Homepage der Jungen ÖVP am 29. August 2016. Neben den politischen Diskussionen, etwa mit verschiedenen ÖVP-MinisterInnen, standen auch noch eine „traditionelle Speckjause“ und ein gemeinsamer „gemütlicher Ausklang“ des Abends an.

Konservatives Business as usual also beim Forum Alpbach. Pikant ist allerdings der Autor des Berichts, der hier über gemeinsame Zeiten mit Außenminister Sebastian Kurz berichtet. Christoph Diensthuber war Mandatar der Fakultätsvertretung Jus der AktionsGemeinschaft AG und bis zumindest August 2016 Pressesprecher der Jungen ÖVP (JVP). Und ist nun einer der Beteiligten beim Skandal um antisemitische und neonazistische Postings in internen Social Media-Gruppen von mehreren ÖVP-nahen Jugendorganisationen.

Ex-Pressesprecher im Mittelpunkt

Bundesvorsitzender der Jungen ÖVP (JVP) ist bis heute Außenminister Sebastian Kurz. In seiner Funktion als Pressesprecher der JVP war Diensthuber somit auch sein Pressesprecher. Die JVP selbst will das allerdings gegenüber dem Kurier anders sehen. „Er war kein Pressesprecher von Sebastian Kurz. (…) Er war Mitarbeiter bei der Bundes-JVP“, so Stefan Schnöll, Generalsekretär der ÖVP-Jugend. Er weist auch einen diesbezüglichen Bericht auf VICE zurück (den der Autor dieser Zeilen verfasst hat).

Artikel auf der Seite der Jungen ÖVP

Mit dem oben zitierten Bericht vom Forum Alpbach wird aber deutlich: Diensthuber war natürlich auch verantwortlich für die Präsentation des Vorsitzenden. Diensthuber war übrigens nicht nur angestellter Pressesprecher, er hatte noch eine weitere Funktion in der JVP: Laut seinem Linkedin Profil war er dort bis November vergangenen Jahres „Referent für Politik und Organisation“.

Diensthuber hat seine Beteiligung an den Social-Media-Gruppen der AG bereits öffentlich eingestanden. In einem Statement auf Facebook relativiert er aber. Er hätte diese Gruppen kaum beachtet und würde sich nun von den Inhalten distanzieren. Insbesondere wichtig ist ihm: „Ich möchte es an dieser Stelle dennoch nochmals betonen: Ich habe die Inhalte nie geteilt, geliked oder sonst wie kommentiert. Viele davon habe ich in den letzten Stunde [sic!] sogar zum ersten Mal gesehen.“

Nun wurden allerdings auf der Plattform Indymedia die Screenshots gepostet, die die Chats der Gruppe zeigen sollen. Und bereits beim allerersten Meme „Wollt ihr die totale Studienplatzreform“ (in Anlehnung an Goebbels „totalen Krieg“): ein Like von Christoph Diensthuber.

JVP immer eindeutiger involviert

Auch weitere Mitglieder der JVP sind in den Skandal um die internen Facebook- bzw Whatsapp-Gruppen verwickelt. Vor allem ist hier Alexander Grün zu nennen, bisheriger Wiener Spitzenkandidat der AG für die kommenden ÖH-Wahlen. Er ist Mitglied der JVP in Niederösterreich und Jugendgemeinderat in Lassee im Bezirk Gänserndorf. Die ÖVP NÖ möchte sich auf Anfrage nicht dazu äußern, ob er diese Funktion verlieren wird.

Auch Clemens Kraemmer, bis vor wenigen Tagen Präsident der AG Jus, stammt aus der JVP. In der Vergangenheit war er stellvertretender Obmann der JVP in Mödling. Bernadette Schöny von der JPV Niederösterreich sagt, dass alle beteiligten Mitglieder der Landesorganisation ausgeschlossen würden. Es bleibt abzuwarten, ob dies bei Grün und Kraemmer auch umgesetzt wird. Die JVP in Oberösterreich, wo Christoph Diensthuber Mitglied ist, möchte sich hingegen gar nicht äußern.

Auch die Wiener Landesorganisation steht stark im Zentrum der Aufmerksamkeit. Verstrickungen dürfte es unter anderem in den Bezirken Hietzing, Wieden und Margareten gegeben haben. Die JVP Margareten ist laut JVP Wien sogar vollständig „funktionsunfähig“, wie gegenüber dem Kurier zugegeben wird. Wie die JVP Wien mit dieser Situation umgeht, ist offen. Schrieb Vorsitzender Nico Marchetti zuerst auf Twitter, dass alle „Betroffenen sofort und einstimmig aus der JVP Wien ausgeschlossen“ worden seien, sagt die JVP Wien nun, dass es eine aktive Beteiligung gegeben haben müsse.

Schülerunion ebenfalls betroffen

Auch Mitglieder anderer ÖVP-naher Jugendorganisationen dürften Teil der Social-Media-Gruppen gewesen sein. Ein Screenshot soll etwa zeigen, dass auch ein junger Mann Mitglied der Facebook-Gruppe war, der bis vor wenigen Tagen auf der Page der VP-nahen Schülerunion als Mitglied des Bundesvorstands und internationaler Referent der Organisation geführt wurde. Mittlerweile ist dieser Eintrag von der Seite verschwunden (Screenshots liegen FM4 vor). Er hat die Schülerunion zuvor offenbar auch in internationalen Organisationen vertreten, etwa als Vizepräsident der European Pupils Association (EUPAS). Auch dort wird er auf der Homepage mittlerweile nicht mehr genannt.

Die Schülerunion hat inzwischen bestätigt, dass ein Mitglied Teil dieser Chatgruppen war. Laut der Stellungnahme der Schülerunion auf Facebook sei die betreffende Person bereits vor drei Tagen ausgetreten. Interessant ist allerdings der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Statements der Schülerunion: Es ging am Samstagvormittag online. Die SP-nahe Aktion kritischer SchülerInnen (aks) hat laut Eigendarstellung die Schülerunion bereits vor zwei Tagen vergeblich zu einer Stellungnahme aufgefordert. Am Samstagvormittag ging die aks damit an die Öffentlichkeit. Samstagvormittag äußerte sich auch die Schülerunion zur Causa. Die aks fordert jetzt im Gespräch mit FM4 Aufklärung von der Schülerunion, ob weitere Funktionäre an den Chats beteiligt waren.

Schließlich gibt es auch eine Verbindung zwischen diesem ehemaligen Mitglied der Schülerunion zur Jungen Volkspartei: Auf Google finden sich Suchhinweise, dass der junge Mann auch stellvertretender Obmann der JVP in Wien-Hietzing gewesen sei. Auch von dieser Seite ist er inzwischen allerdings kommentarlos verschwunden.

Weitere Namen könnten folgen

Die Liste der Beteiligten ist damit wohl noch lange nicht zu Ende. Bei manchen Personen aus der WhatsApp-Gruppe ist bisher nur der Vorname auf Screenshots ersichtlich (wobei es Hinweise gibt, das es auch hier Verbindungen in die JVP geben könnte). Andere Personen waren Mitglied der Facebook-Gruppe, haben aber nicht aktiv gepostet und geliked und sind damit noch nicht am Radar.

Die AktionsGemeinschaft (AG) gibt aktuell 22 Personen an, die alle bereits aus der AG ausgeschlossen worden seien. Namen wollen die konservativen Studierenden nicht bekannt geben. In den bisher bekannten Social Media Gruppen waren allerdings einmal 32 Personen, einmal 10 – wobei Überschneidungen möglich sind.

Es muss also weitere Beteiligte geben. Und die bisherigen Recherchen zeigen: Es dürfte sich hier keineswegs nur um ein Problem der AktionsGemeinschaft (AG) handeln, sondern zentral auch um eines der Jungen Volkspartei. Laura Sachslehner von der JVP sagt allerdings: „Ausschlüsse müssen die Landesorganisation entscheiden“. Diese Positionierung der Bundesorganisation macht die Überprüfung tatsächlicher Ausschlüsse natürlich schwieriger.

Finanzielle Probleme

Der AktionsGemeinschaft (AG) drohen unterdessen auch noch auf einer anderen Ebene Probleme: Die HochschülerInnenschaft der Universität Wien hat per 11. Mai die Gelder der Fakultätsvertretungen Wirtschaft und Jus eingefroren, also der beiden Hochburgen der konservativen Studierenden in Wien.

Die Begründung: Die Leaks würden zeigen, „dass die Staatsanwaltschaft Wien gegen Funktionär_innen der Fakultätsvertretung wegen möglichen Untreuehandlungen in Verbindung mit ÖH-Geldern ermittelt“, so die ÖH in einer Aussendung. Die Aktionsgemeinschaft hat in einer Aussendung bestätigt, dass Anzeigen gegen ehemalige Funktionäre erstattet wurden.

Problem für Kurz?

Die immer eindeutiger werdende Beteiligung von AktivistInnen der Jungen ÖVP macht die AG Leaks auch zu einem Problem der ÖVP insgesamt. Die JVP ist immerhin als einer der sechs Bünde bzw. Teilorganisationen ein zentraler Faktor in der Partei. Und Sebastian Kurz, Bundesobmann der JVP, wird als möglicher ÖVP-Vorsitzender gehandelt.

Wenn aber in der von Kurz geleiteten Jugendorganisation bei teils zentralen Personen rassistische, antisemitische und neonazistische Witzchen und Kommentare salonfähig sind, dann wird auch seine Verantwortung und Nähe zu den handelnden Personen zu hinterfragen sein.

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