Als ich gegen die Wiener Polizei vor Gericht stand – und gewonnen habe

Bild: Nathan Spasić

[VICE] 140 Euro sollte das Beobachten einer Amtshandlung in Wien kosten. Doch die Beschwerde hat sich gelohnt: Freispruch.

Erstveröffentlichung: VICE, 26.07.2017 Der Platz neben dem Wiener Burgtheater ist eigentlich mehr ein Nicht-Platz. Parkende Autos, eine Tankstelle, ein selten benutzter Eingang zum Volksgarten. Hin und wieder fährt ein Auto vorbei. Es ist das Wiener Regierungsviertel – vor allem am Wochenende ist da kaum Verkehr.

Dementsprechend ungewöhnlich wirkt das Bild am 5. März 2016. An diesem sonnigen Samstag stehen Polizeiautos mitten auf der Straße, daneben sitzt eine Gruppe junger Menschen und rund um sie stehen PolizistInnen. Kurz zuvor war ein rechtsextremer Mini-Aufmarsch am Minoritenplatz zu Ende gegangen, danach auch die Gegenkundgebung der „Offensive gegen Rechts“ am benachbarten Ballhausplatz.

Ich war als Journalist bei beiden Kundgebungen, machte Fotos, hörte den RednerInnen zu. Und natürlich blieb ich stehen, als ich beim Weg zur nächstgelegenen U-Bahn eine Amtshandlung beim Burgtheater mitbekam. Offensichtlich hatte die Polizei einige TeilnehmerInnen der antifaschistischen Kundgebung angehalten – für mich ohne ersichtlichen Grund.

Während ich die Amtshandlung so beobachtete, wurde auf einmal neben mir völlig unvermittelt ein Mann von PolizistInnen zur Identitätsfeststellung aufgefordert und zwischen zwei Polizeiwagen gebracht. Ich ging ihnen nach, um zu sehen, was passieren würde – sehr zum Missfallen eines der Beamten.

Knapp einen Monat später kam dann allerdings die Überraschung: in der Form eines eingeschriebenen Briefs mit einer Strafverfügung über insgesamt 140 Euro.

Obwohl ich meinen Presseausweis gut sichtbar um den Hals trug, wurde ich sofort aufgefordert, mich zu entfernen. Schließlich schubste mich der Polizist von der Straße. Die Sache ging weiter hin und her, bis zu seinem Vorgesetzten, bei dem ich protestierte. Danach entfernte sich die gesamte Polizeieinheit. Inzwischen war auch die Amtshandlung gegen den anderen Mann bereits beendet. Knapp einen Monat später kam dann allerdings die Überraschung: in der Form eines eingeschriebenen Briefs mit einer Strafverfügung über insgesamt 140 Euro. Der Grund: Behinderung des fließenden Verkehrs und Stehen auf der Straße. Der Polizist hatte sich offensichtlich meinen Namen vom Presseausweis gemerkt und aufgeschrieben.

Im entsprechenden Paragraf heißt es, dass die Polizei befugt wäre, Anordnungen zu treffen, wenn es die „Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs erfordert“. Durch meine Beobachtung der Amtshandlung hätte ich den Verkehr allerdings nur dann behindern können, wenn andere Autos beschlossen hätten, durch mich hindurch und in die parkenden Polizeiautos hinein zu fahren.

Zusätzlich wurden in einer ausführlichen Stellungnahme des anzeigenden Polizisten Behauptungen aufgestellt, die sich – freundlich formuliert – meiner Erinnerung entziehen. Innerhalb eines Monats ist ein Einspruch gegen eine solche Strafverfügung möglich. Die Frist steht immer am Ende des Briefes, daher ist es wichtig, solche Briefe möglichst schnell von der Post abzuholen. Ich erhob also Einspruch „binnen offener Frist“, wie das juristisch heißt, und forderte die Polizei zur Rücknahme der Strafe auf.

Nach diesem ersten Einspruch wurde tatsächlich ein Teil der Strafe zurückgezogen. Den Verkehr hätte ich nun nicht mehr behindert, aber eine Strafe in Höhe von insgesamt 80 Euro wegen des Stehens auf der Straße blieb trotzdem aufrecht. Ich erhob erneut Einspruch und forderte für die nächste Instanz eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien.

Dabei ging es natürlich nicht nur um die Strafe. Zentral war auch die Frage, ob es für PolizistInnen tatsächlich möglich werden sollte, mit Anzeigen auf die Beobachtung von Amtshandlungen durch JournalistInnen zu reagieren.

Dankenswerterweise stellte mir VICE für die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien juristische Unterstützung zur Verfügung; Rechtsanwältin Birgit Kopp von der Kanzlei pfletschinger . renzl begleitete mich zu Gericht. Eine anwaltliche Vertretung bei einer solchen Verhandlung ist an sich nicht erforderlich, es geht auch ohne. Klarerweise ist die juristische Beratung im Vorfeld und die Unterstützung während der Verhandlung aber enorm hilfreich.

Unter dem Vorsitz von Richter Jörg Osinger tagte nun am 20. Juli 2017 das Verwaltungsgericht Wien. Das klingt allerdings ein bisschen pompöser, als es ist. Im Raum saßen der Richter, ein Protokollführer vor seinem Computer, Anwältin Kopp und ich. Das Ganze ist einfach ein etwas größerer Büroraum mit mehreren Schreibtischen, an denen die Beteiligten sitzen.

Als erstes wird bei einer solchen Verhandlung der „Beschwerdeführer“ gehört, in dem Fall also ich. Ich schilderte meine Sicht der Dinge und legte einige Fotos und eine Skizze zur Amtshandlung vor. Hier hatte ich Glück, ein ebenfalls anwesender Pressefotograf hatte mehrere Bilder der Szene gemacht, auf denen gut zu erkennen war, dass ich einen Presseausweis um den Hals trug. Nachdem die gesamte Geschichte schon länger her war, war ich recht glücklich, dass ich zuvor noch mal meine beiden Einsprüche durchlesen konnte, wo ich den Ablauf der Amtshandlung erklärt hatte.

Eigentlich wäre es klug, nach jeder Amtshandlung ein Gedächtnisprotokoll zu erstellen. Aber in diesem Fall hatte ich einfach nicht damit gerechnet, dass eine Strafverfügung in meinem Briefkasten landen könnte. Während meiner Aussage fragte Richter Osinger das eine oder andere nach. Der Schriftführer tippte mit. Alles ruhig, alles entspannt.

Nach der Aussage des Zeugen ist es dem Beschwerdeführer erlaubt, Fragen an den Zeugen zu richten. Ich konnte also den Polizisten vernehmen.

Dann kam als Zeuge Gruppeninspektor Ronald T., der die Anzeige verfasst hatte. Er berichtete in seiner Aussage, dass er und seine Gruppe vor dem Burgtheater noch viel mehr Personen angezeigt hätten. Mehrmals erwähnte T., dass die betreffenden AntifaschistInnen immerhin gelacht hätten, wie auch im Protokoll vermerkt ist. (Ich selbst konnte so ein Gelächter zumindest nicht wahrnehmen.) An mehrere teilweise entscheidende Details unserer Begegnung konnte sich T. allerdings nicht mehr genau erinnern.

Nach der Aussage des Zeugen ist es dem Beschwerdeführer erlaubt, Fragen an den Zeugen zu richten. Ich konnte also den Polizisten vernehmen. Eine anscheinend eher ungewohnte Situation für T., der meine Befragung gleich zu Beginn zu unterbrechen versuchte. Erst nach einem Hinweis, dass es angenehm wäre, meine Sätze auch selbst beenden zu können, konnte die Befragung fortgesetzt werden. Einen Erkenntnisgewinn brachte die Einvernahme aber nicht.

Die Pressefreiheit sei ein schützenswertes Gut und schon allein mit dem Hinweis auf die Pressefreiheit sei die Strafe aufzuheben.

Abschließend noch ein Statement von Rechtsanwältin Kopp zur Bedeutung der Pressefreiheit, dann zog sich das Gericht zur Beratung zurück. Also das heißt: Die Rechtsanwältin und ich mussten kurz den Raum verlassen, während der Richter und der Schriftführer sitzen blieben.

Einige Minuten später wurden wir noch mal in den Raum geholt. Das Urteil: Das Straferkenntnis wurde aufgehoben, Fall gewonnen.

Über den Einzelfall hinausgehend spannend war die Begründung von Richter Osinger. Einerseits sei die Pressefreiheit ein schützenswertes Gut und schon allein mit dem Hinweis auf die Pressefreiheit sei die Strafe aufzuheben.

Andererseits stellte Osinger aber auch in den Raum, ob in diesem Fall die Benutzung der Fahrbahn nicht auch grundlegend in Ordnung gewesen wäre. Er verwies dabei zum Vergleich auf den Paragraf 82 der Straßenverkehrsordnung, der Werbung auf der Straße erlaubt. Das könnte auch für künftige Fälle interessant sein. Denn seit einigen Jahren versucht insbesondere die Wiener Polizei zunehmend häufig, mit Anzeigen nach der Straßenverkehrsordnung gegen soziale Proteste vorzugehen.

Eine Sache muss allerdings an dieser Stelle noch mal explizit betont werden: Ich war in diesem Fall in einer sehr privilegierten Situation. Ich habe selbst rechtliche Grundkenntnisse, ich bin geübt im Umgang mit Behörden, ich war durch einen Presseausweis als Beobachter gekennzeichnet, ich bekam in diesem Fall anwaltliche Unterstützung. Viele andere haben diese Möglichkeit nicht.

Und das ist auch das eigentliche Problem, das dieses Verfahren berichtenswert macht. Nämlich dass durch finanzielle Einschüchterungen die Berichterstattung über mögliche behördliche Willkürakte erschwert werden könnte. Allerdings nur, solange sich niemand dagegen zur Wehr setzt.

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