Zu dumm für die EU?

Es waren vor allem weniger gut ausgebildete Schichten der Bevölkerung, die für den Brexit gestimmt haben. Sind die Menschen also einfach zu dumm für die EU? Ein Widerspruch.
Die Auswertung der Wahlergebnisse bringt relativ klare Ergebnisse. Weniger gut ausgebildete Menschen und Personen über 60 waren die stärkste Gruppe, die die EU verlassen wollten.

Im Gegenzug haben jene Teile der Bevölkerung, die am besten ausgebildet sind – also wohl auch tendenziell die am besten bezahlten Jobs haben – überdurchschnittlich für den Verbleib in der EU gestimmt. Die britische Zeitung Telegraf hat die Zahlen anschaulich zusammengestellt.

Der „Telegraph“ weist darauf hin, dass das Ausbildungsniveau und die Klassenzugehörigkeit sich in Großbritannien sehr stark überlappen (was in anderen Ländern nicht anders ist) und titelt: „Klasse war eine Schlüssel-Trennlinie im EU Referendum“. Der Telegraf weist auch darauf hin, dass Wahlkreise in Wales mit einem besonders hohen Anteil an Wählern aus der traditionellen ArbeiterInnenklasse besonders hohe Brexit-Quoten hatten.

Laut Telegraph wählten von den 50 Wahlbezirken mit den größten Anteil an Wählerinnen aus der traditionellen Arbeiterklasse nur drei für den Verbleib in der EU. Auffallend sind hingegen die Ergebnisse in den Gebieten der schottischen und irischen Minderheit, wo es in allen Wahlbezirken klare Mehrheiten für den Verbleib in der EU gibt. MigrantInnen wählten tendenziell ebenfalls für den Verbleib in der EU.

Hinzugefügt werden müsste, dass alle (Post-) Wahlbefragungen mit einem gewissen Ausmaß an Skepsis betrachtet werden sollten, dennoch erscheinen die Ergebnisse relativ stringent und nachvollziehbar. Wir kennen den daraus folgenden Spin bereits aus den Debatten rund um die WählerInnenschaft der FPÖ. Die Menschen wären schlicht zu dumm, sie müssten mehr Bildung erhalten,… dann würden sie schon die Vorteile der EU/der Regierungsparteien/ … erkennen.

Debatte mit der Staatsgewalt im britischen BergarbeiterInnen-Streik

Debatte mit der Staatsgewalt im britischen BergarbeiterInnen-Streik

Doch was heißt dieses Ergebnis konkret? Doch vor allem, dass jene gegen die EU gestimmt haben, die besonders dringend soziale Verbesserungen erhoffen. Nehmen wir etwa Wales. Einst eine Hochburg der industriellen ArbeiterInnenklasse, hat vor allem die Niederlage im britischen Bergarbeiterstreik 1984/85 viele der walisischen Täler in völliger sozialer Verelendung zurückgelassen. Ist es wirklich überraschend, dass in diesen Wahlkreise die Hoffnung besteht, dass ein fundamentaler ökonomischer Schnitt die eigene Lage verbessern könnte?

UKIP bricht bereits jetzt soziale Versprechen

Meines Erachtens werden diese Hoffnungen allerdings enttäuscht werden. Im Wahlkampf hatten die Brexit-Befürworter etwa zentral damit geworben, das angeblich wöchentlich £ 350 Millionen an die EU gesendet würden (wobei die Zahl an sich bereits nicht stimmen dürfte). Dieses Geld sollte stattdessen ins nationale Gesundheitssystem gesteckt werden. Das bedenkend, ist es also nicht unbedingt verwunderlich, dass vor allem ältere Menschen für den Austritt gestimmt haben.

Bereits heute, am ersten Tag nach der Wahl, sagt Nigel Farage, Vorsitzende der neoliberal-rechten UK Independent Party (UKIP), dass er nicht garantieren könne, dass das Versprechen der Finanzierung des britischen Gesundheitssystems auch umgesetzt würde. Diese Behauptung sei „einer der Fehler, den die Brexit-Kampagne gemacht hat“.

Es sollte allerdings nicht verwundern, dass die rechte und extreme Rechte, sobald sie erfolgreich ihre Ziele durchgesetzt hat, angebliche soziale Forderungen fallen lässt wie heiße Kartoffeln und stattdessen Sozialabbau-Maßnahmen durchsetzt. Dieses Muster ist bereits aus der Regierungsbeteiligung der FPÖ in den Jahren 2000 bis 2006 bestens bekannt.

Gespaltene britische Eliten

Tatsächlich war die Abstimmung zwischen der EU und Großbritannien in dieser Form wohl eine zwischen zwei Übeln. Auf beiden Seiten waren die Argumente nationalistisch getragen. Auf der einen Seite der EU-Nationalismus, auf der anderen Seite der britische. Die Kampagne für den Austritt war wesentlich von rechten Kräften wie der UKIP und dem britisch-nationalistischen Flügel der konservativen Tory-Partei getragen.

Die Frage von Flüchtlingen und MigrantInnen war in der Abstimmung zentral und rechte Kräfte verknüpften den Brexit mit rassistischer „Britain-First“-Propaganda. Auch der rechte Mörder der Labour-Abgeordnete Jo Cox soll diesen Schlachtruf bei seiner Tat gerufen haben.

Auf der anderen Seite waren jene Teile des Establishments, die sich mehr von einem Verbleib in der EU erhofften. Dass auch das britische Kapital gespalten war, hängt damit zusammen, dass die britische ökonomische Situation etwas anders geartet ist als jene in anderen Teilen der EU. Großbritannien ist nicht Teil der Euro-Zone und es gibt traditionell starke wirtschaftliche Verbindungen zu anderen Ländern außerhalb der EU, insbesondere den USA und den ehemaligen Kolonien. So wurde etwa von manchen argumentiert, dass ein Austritt aus der EU für den Freihandel sogar vorteilhaft wäre.

Verschiedene Positionen auf der Linken

Auch die britische Linke war in der Austritts-Frage uneins. Viele argumentierten, dass etwa ArbeitnehmerInnenschutzgesetze und andere soziale Errungenschaften in Großbritannien wesentlich an EU-Gesetze gebunden wären – und tatsächlich ist es wohl tendenziell so, dass die britische Gesetzgebung in diesem Bereich so schwach ist, dass manchmal sogar die EU-Gesetze Verbesserungen gebracht haben.

Die linke "Trade Union and Socialist Coalition" argumentierte für einen "Lexit"

Die linke „Trade Union and Socialist Coalition“ argumentierte für einen „Lexit“

Andere positionierten sich für einen linken Exit oder „Lexit“. Mit Verweis etwa darauf, wie die EU-Eliten in Griechenland progressive ökonomische Versuche schnell und hart niedergeknüppelt haben, wurde argumentiert, dass die nationale Ebene größere Spielräume für Anti-Austeritätspolitik eröffnen würde. Dieses Argument hat vieles für sich, schreibt die EU doch auf vielen Ebenen den Nationalstaaten Sozialabbaumaßnahmen, Aufrüstung und Privatisierungspolitik vor.

Insgesamt aber war die Linke in dieser Abstimmung an den Rand gedrängt und nahm vor allem eine erwzungene ZuschauerInnenrolle ein. Nicht unbedingt verwunderlich bei einer Abstimmung, die sich wesentlich um nationale Fragestellungen drehte und auf diese zuspitzte.

Wirtschaftskrise als Motor des Brexit

Die aktuelle Abstimmung in Großbritannien kann nicht unabhängig von den ökonomischen Verwerfungen gesehen werden, die mit der aktuellen Weltwirtschaftskrise begonnen haben. EU und Euro sind ein gemeinsames ökonomisches Projekt der EU-Eliten, während es aber gleichzeitig weiterhin 28 nationale Volkswirtschaften mit divergierenden Interessen gibt. Dass das in Zeiten der Krise zu unterschiedlichen Lösungsansätzen der Regierungen und Kapital-Gruppen verschiedener Länder führt, ist nachvollziehbar.

Es ist also die Frage, inwieweit die EU in dieser Form überhaupt weiter bestehen wird. Denkbar erscheint etwa, dass es mittelfristig einen ökonomischen Block geben könnte, der aus Deutschland, (wahrscheinlich) Frankreich sowie den deutschen Satelliten Österreich, den Benelux-Staaten und einigen Ländern Osteuropas besteht.

Ebenfalls offen bleibt, was die aktuelle Abstimmung für die Grenzziehungen innerhalb der EU bedeutet. Die schottische Regierungschefin deutet bereits ein neues Unabhängigkeits-Referendum an , dem könnte vor allem im Falle einer Mehrheit für die Abspaltung Schottlands sehr bald eine weitere Abstimmung im spanischen Katalonien folgen.

Die EU als Glücksverprechen?

In den sozialen Netzwerken argumentieren nun viele damit, dass die EU ein Fortschritt gegenüber der nationalstaatlichen Ebene wäre. Und tatsächlich ist natürlich ein  Zusammenschluss der Bevölkerungen der europäischen Länder ein enormer Fortschritt gegenüber nationaler Kleinstaaterei. Interessant in diesem Zusammenhang übrigens der Hinweis, dass die EU 28 Mitgliedsländer hat, während es 47 Länder gibt, die ganz oder teilweise im geographischen Europa liegen. Dennoch werden die Worte Europa und EU oft Synonym verwendet – ein eleganter propagandistischer Schachzug.

Die EU: Verantwortlich für Abschiebungen und Massensterben im Mittelmeer

Die EU: Verantwortlich für Abschiebungen und Massensterben im Mittelmeer

Wenn nun allerdings die Vorzüge der EU argumentiert werden, sollte nie vergessen werden, dass es die EU ist, die aktuell für das Massensterben im Mittelmeer verantwortlich ist. Es sind EU-Truppen, die weltweit eine Reihe von Kriegen führen, etwa in Afghanistan, Mali oder Somalia.

Rund um um die Ereignisse in Griechenland hat die EU gezeigt, dass soziale Errungenschaften bereitwillig zertrümmert werden, wenn es den eigenen Interessen dient. Die EU ist vor allem gleichermaßen ein militärisches und ein ökonomisches Projekt der europäischen Eliten, um eine stärkere Macht-Position im Wettstreit mit den anderen Blöcken USA, China, Russland und Japan ausüben zu können.

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