Die See-Retter von Samos

[FM4] Die schwedische Seerettung ist ehrenamtlich im Mittelmeer aktiv und hat bisher an die 2000 Menschen gerettet.

[Erstveröffentlichung: FM4] Es ist vier Uhr am Morgen, als die beiden Boote den Hafen von Samos verlassen. Es ist dunkel, die Positionsleuchten der Schnellboote spiegeln sich im Wasser. Im Hintergrund wird die Uferpromenade langsam kleiner. Wie fast jeden Tag fährt die schwedische Seerettung auch heute auf Patrouille zwischen den griechischen Inseln und der türkischen Küste.

Die Besatzung besteht aus dem Kapitän Mikael sowie den beiden Besatzungsmitgliedern Tobias und Mats. Der 42-jährige Tobias betont aber, dass diese Hierarchien vor allem im Notfall gelten: “Üblicherweise lösen wir alles durch Gespräche.” Und tatsächlich macht der Kapitän Kaffee für alle, während der ruhige Computertechniker Mats die erste Schicht am Steuer übernimmt.

Bild: Tanja Boukal

Das Boot fährt zuerst noch langsam, doch sobald wir den Hafen verlassen, wird klar, welche Kraft in diesem Schnellboot steckt. Unsere Patrouille führt uns zuerst auf hohe See, genau an die Grenze zwischen den Gewässern von Griechenland und der Türkei. Aus rechtlichen Gründen ist es sehr wichtig, dass die schwedische Seerettung hier nur Übungsfahrten durchführt. Doch sollten im Rahmen dieser Übung Flüchtlinge gefunden werden, dann würden selbstverständlich Rettung-Maßnahmen eingeleitet.

Bild: Tanja Boukal

“Arme Leute teilen”

Die schwedische Seerettung ist bereits seit einigen Monaten mit zwei Booten auf Samos stationiert. Begonnen hatte es mit Spendenaufrufen in den beiden Tageszeitungen Aftonbladet und Svenska Dagbladet, wie Tobias erzählt. “Jetzt werden wir aus Spenden der arbeitenden Bevölkerung finanziert. Es ist wie immer. Arme Leute teilen, reiche Leute teilen nicht”, sagt Tobias.

Die Mitglieder der Crew sind auch in Schweden ehrenamtlich bei der Seerettung aktiv. Hier in Griechenland wechseln sie sich alle zwei Wochen ab, längere Einsätze wären nicht möglich, denn die AktivistInnen arbeiten ehrenamtlich und in ihrer Freizeit. Einige nehmen sich Urlaub, andere arbeiten im Schicht-Dienst und legen ihre Schichten so, dass sie hier helfen können, wie Tobias erzählt.

Die griechischen Inseln Samos, Lesbos und Chios sind für die Missionen zur Rettung von Flüchtlingen von besonderer Bedeutung. Genau gegenüber von Samos liegen die türkische Küste und das Städtchen Kuşadası. Dieser Abschnitt der Küste ist einer der wichtigsten Abfahrtsorte für Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Griechenland. Menschen auf der Flucht haben keine Möglichkeit, für die Fahrt ein Ticket auf der sicheren Fähre zwischen Kuşadası und Samos zu kaufen. Stattdessen sind sie gezwungen, bis zu tausend Dollar für die lebensgefährliche Überfahrt in Schlauchbooten zu bezahlen.

Bild: Michael Bonvalot

Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR gibt an, dass alleine seit Beginn dieses Jahres 1361 Menschen im Mittelmeer gestorben sind oder vermisst werden. Diese Zahl muss allerdings zwangsläufig unvollständig bleiben. Wenn ein Boot kentert, gibt es oft keine Überlebenden, die davon berichten könnten.

Die Küste des Todes

Gerade vor Samos ist die Situation besonders problematisch, denn die Küste besteht an den meisten Stellen aus schroffen, hochaufragenden Felsen. Und genau dorthin treibt die Strömung die Boote. “Die lokale Bevölkerung nennt diesen Abschnitt die Küste des Todes”, erzählt Tobias. Der 44-jährige Kapitän Mikael ergänzt: “Die Küste ist wirklich sehr hässlich. Ein Schlauchboot, das hier angespült wird, geht in Sekunden kaputt.”

Wir werden unterbrochen, als wir ein Boot am Radar sehen. Doch diesmal ist es kein Boot mit Flüchtlingen, sondern eines der Boote der EU-Streitkräfte von Frontex. Diese Schiffe sind dazu da ist, um Menschen von der Flucht in die EU abzuhalten. “Das ist genau der Unterschied, wir haben eine andere Mission als die Küstenwache. Wir schützen keine Grenzen, wir retten Menschen”, sagt Tobias.

Bild: Michael Bonvalot

Langsam geht die Sonne über dem Meer auf. Die “Übungsfahrten” beginnen immer zwischen 4:30 Uhr und 5:00 Uhr am Morgen; wie lange es dauert, hängt dann von den Ereignissen des jeweiligen Tages ab. Das Boot wirkt eigentlich nicht besonders groß, doch der Rekord waren neunzig gerettete Menschen an Bord, wie Kapitän Mikael erzählt. Für mich ist diese Zahl unvorstellbar. Mikael erzählt, dass an diesem Tag buchstäblich überall auf dem Boot Menschen standen. Tobias schätzt, dass die beiden Boote und ihre Besatzungen insgesamt bereits bis zu 2000 Menschen gerettet haben.

Viele Kinder unter den Geretteten

“Die Menschen, die wir retten können, sind oft völlig erschöpft, dehydriert, hungrig und durchnässt. Viele haben Schockzustände”, berichtet Mikael. An Bord gibt es Decken, Wasser und Energieriegel. Doch vor allem sei dann wichtig, dass die Menschen möglichst schnell an Land und in Sicherheit gebracht werden. “Die Menschen, die wir finden, sind in sehr unterschiedlicher Verfassung. Auffallend ist, dass wir wirklich viele Kinder unter den Geretteten haben”, so Tobias.

Die Zahlen der UNHCR bestätigen diese Einschätzung: 38 % aller Flüchtlinge, die 2016 nach Griechenland kamen, sind Kinder. Die Herkunft der Menschen zeigt auch, warum sie auf der Flucht sind: 89% aller geflüchteten Menschen stammen allein aus den drei großen Kriegsgebieten Syrien, Afghanistan und Irak.

Wir fahren nun auf die Küstenlinie zu. Die Boote sind speziell für Rettungsaufgaben gebaut, wie Mikael erläutert. Auf hoher See können Sie bis zu 32 Knoten schnell fahren und auch bei sehr hohem Wellengang immer noch ausrücken.

Bild: Michael Bonvalot

Gleichzeitig ermöglicht die flache Bauweise, dass die Boote auch unmittelbar an die Felsküste heranfahren können und Menschen aufnehmen, die dort gestrandet sind. Tobias erzählt etwa von zwei völlig erschöpften Männern, die bereits 48 Stunden auf einem Felsen im Wasser saßen und gerade noch gerettet werden konnten.

Die Reise sicher machen

Tobias sagt, dass genau solche Situation seine Motivation sind: “Die Flüchtlinge haben keine Erfahrung mit der See und der Seefahrt. Sie glauben oft, dass die Überfahrt gar nicht so besonders gefährlich sei. Doch das ist ein oft tödlicher Irrtum. Und genau deshalb sind wir hier. Wir wollen die Passage für die Menschen sicher machen.”

Tobias erzählt von den täglichen Abläufen: “In der Früh rücken wir aus. Nach der Ausfahrt müssen wir Reparaturen am Boot durchführen und vor allem das Boot vom Salzwasser reinigen. Geschlafen wird tagsüber und dann wieder sehr früh am Abend, wir müssen ja fit sein.”

Bild: Michael Bonvalot

Im Fall von Notsituationen kann es aber auch sein, dass das übliche Programm über den Haufen geworfen wird. “Wir haben Funkgeräte und Telefone in unseren Zimmern. Wenn es ein Problem gibt, werden wir vom Hafen angerufen und können innerhalb von 5-6 Minuten auf den Booten sein”, sagt Mikael.

Als wir uns der Küste nähern, sehen wir überall Rettungswesten am Ufer. Sie sind die stummen Zeugnisse jener, die die Überfahrt geschafft haben. Tobias meint, dass diese Westen ganz neu sein müssen: “Wir reinigen das Ufer regelmäßig und wollen damit auch etwas für die lokale Bevölkerung tun.”

Bilder, die im Kopf bleiben

Mikael erzählt von seinen Eindrücken: “Als ich das erste Mal hier war, war das Ufer ganz rot vor lauter Schwimmwesten. Das war schon sehr beeindruckend. Du versuchst Dich natürlich psychisch darauf vorzubereiten, was Du erleben wirst. Aber als ich das erste Mal 70 Menschen von einem Felsen gerettet habe, war das wie in einem absurden Film.”

Bild: Michael Bonvalot

Ich frage, wie die RetterInnen selbst diese Situationen verarbeiten. Tobias sagt: “Wir haben grundsätzlich alle viel Erfahrung mit Stress und Situationen, die traumatisieren können. Nach den Einsätzen haben wir eine regelmäßige Runde, wir nennen das Kameradengespräch. In Schweden gibt es dann auch die Möglichkeit für professionelle Hilfe.”

Meistens können die Mitglieder der Crew gut damit umgehen. Doch immer ist das nicht möglich. “Du siehst die kleinen Schwimmflügel und fragst Dich, was da passiert ist”, sagt Mikael.

Etwas tun, das zählt

Dennoch ist es für Mikael keine Frage, dass er hier helfen muss: “Ich will etwas tun, das zählt”, sagt er. Tobias sieht das ganz genauso: “Wir können für Menschen in Not den Unterschied machen. Und wir können doch nicht einfach zusehen, es ist unsere Pflicht, zu helfen.”

Es ist mittlerweile neun Uhr vormittags, unser Boot läuft wieder in den Hafen ein. Diesmal ist unsere Übung ruhig verlaufen. Doch schon morgen, sehr zeitig in der Früh, werden die Crews der schwedischen Seerettung wieder ihren Dienst antreten.

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