Max Zirngast: „In Freiheit und trotzdem gefangen“

[FM4] Genau ein Jahr stand der österreichische Journalist und Aktivist Max Zirngast in der Türkei unter Terror-Anklage. Heute wurde er freigelassen und darf das Land wieder verlassen. Vor dem letzten Prozesstag hat Michael Bonvalot mit Max Zirngast gesprochen.

[Erstveröffentlichung: FM4, 10.09.2019] Am 11. September 2018 wurde Max Zirngast in seiner Wohnung verhaftet und musste über drei Monate im Gefängnis verbringen. Laut Anklage soll der 30-jährige Steirer der Leiter der Organisation Türkiye Komünist Partisi/Kıvılcım (TKP/K, deutsch: Kommunistische Partei der Türkei/Funke) in der türkischen Hauptstadt Ankara sein.

Die TKP/K ist in der Türkei zwar verboten – doch es ist reichlich unklar, ob die Organisation überhaupt noch existiert. Auch die Anklage gegen Zirngast wirkt ebenso dünn wie dubios. Sogar der Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien, Friedrich Forsthuber, hat scharfe Kritik an der Anklage geäußert. „Ich kann keine konkreten Vorwürfe herauslesen, weil es sie nicht gibt“, so der Jurist.

Die Türkei: Ein Land im Krieg

Ein Interview mit Max Zirngast per Skype über die Anklage, über die politische Lage in der Türkei und über veganes Essen im Gefängnis.

Max Zirngast, die türkischen Behörden werfen Ihnen Terrorismus vor. Was sagen Sie dazu?

Laut Anklage soll ich der verantwortliche Leiter der TKP/K in Ankara sein. Ich glaube, ich muss ein ziemlich schlechter Verantwortlicher sein, nachdem es die Organisation offensichtlich überhaupt nicht gibt. (Lacht)

Ernsthaft: Die Anklage ist schlichtweg vollkommen absurd. Zum Zeitpunkt der Anklage war ich gerade einmal rund drei Jahre in der Türkei. Und in der Zeit soll ich zum Leiter einer illegalen Organisation in der türkischen Hauptstadt aufgestiegen sein?

Die Staatsanwaltschaft hat bisher keinerlei Beweise vorgelegt, es kann auch keine geben. Ich schreibe in der Türkei für linke politische Zeitungen und bin Korrespondent für internationale Zeitungen. Daneben mache ich legitime und legale politische und soziale Arbeit, etwa Vorträge und Jugendarbeit. Beispielsweise habe ich Kurse für Englisch, Deutsch oder Philosophie organisiert.

Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, in der Türkei politisch aktiv zu werden?

Ich bin in der Südsteiermark aufgewachsen und bin dann zum Studium nach Wien. Dort bin ich erstmals im Rahmen der Uni-Brennt-Bewegung ab 2009 politisch aktiv geworden. Als die Bewegung dann abgeflaut ist, habe ich nach einer weiteren politischen Perspektive gesucht.

In Österreich habe ich für mich wenig interessante Möglichkeiten gesehen, gleichzeitig habe ich türkische Freund*innen und Genoss*innen kennengelernt. Die Türkei schien mir dann politisch extrem spannend, ich habe begonnen, Türkisch zu lernen und bin schließlich nach Ankara übersiedelt.

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Die Türkei ist für mich ein Land, das in seiner Widersprüchlichkeit unglaublich spannend ist. Denn hier ist überhaupt nicht alles so schwarz und weiß, wie die Türkei in Europa oft dargestellt wird.

Trotz des enormen Drucks der reaktionären Kräfte gibt es etwa eine enorm starke Frauenbewegung, eine nicht klein zu kriegende LGBTIQ-Bewegung und starke Bewegungen der kurdischen und alevitischen Minderheiten.

Im September 2018 wurden Sie dann verhaftet. Wie ist das abgelaufen?

Die Verhaftung zeigt für mich eigentlich die gesamte Absurdität der Anklage. Die Polizisten haben in der Früh angeklopft, ich habe die Tür aufgemacht. Die Polizisten hatten auch keine gezogenen Waffen. Die haben ganz genau gewusst, dass ich nicht bewaffnet und gefährlich bin. Sonst hätten die die Wohnung gestürmt und wären ganz anders vorgegangen.

Sie mussten dann über drei Monate im Gefängnis verbringen. Wir haben Sie diese Zeit erlebt?

Haft ist psychische Gewalt. Ich war in einem Hochsicherheitsgefängnis eingesperrt. Das bedeutet Isolation und permanente Überwachung. Es gibt keine Privatsphäre und du bist permanent der Willkür der Gefängniswächter ausgesetzt.

Ich hatte beispielsweise in meiner Zelle Bilder der Menschen aufgehängt, die ich liebe. Bei einer Durchsuchung wurden die Bilder dann einfach alle heruntergerissen. Das waren Bilder meiner Familie, meiner Freundin, meiner Freunde.

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Im Gefängnis gibt es kein Klebeband, ich hatte die Bilder mühsam mit Zahnpasta und altem Klebeband befestigt, das ich gefunden hatte. Aber du bist permanent der Macht und Kontrolle anderer ausgesetzt.

Die Zellen sind so konstruiert, damit die Gefangenen sich eingeengt und isoliert fühlen. Es gibt keine Zäune, wo du in die Ferne schauen könntest, sondern nur Mauern. Du siehst nie weiter als 15 bis 20 Meter, daran musste ich mich erst gewöhnen. Ich habe versucht, möglichst viel in den Himmel zu schauen. Der einzig mögliche Blick in die Ferne.

Wie ist die Versorgungslage im Gefängnis?

Für mich war das Essen im Gefängnis vor allem am Anfang sehr schwierig. Ich bin vegan und eigentlich gibt es in türkischen Gefängnissen auch das Recht auf vegane Ernährung. Das haben vegane politische Gefangene in der Vergangenheit mit Hungerstreiks erkämpft.

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Real hat das aber bei mir trotzdem gar nicht funktioniert. Nach einiger Zeit habe ich es zumindest geschafft, vegetarisches Essen zu bekommen und wir Häftlinge haben dann untereinander getauscht.

Ein großes Problem ist es auch, ausreichend Wasser zu bekommen. Offiziell hat beispielsweise jede Person Anrecht auf 30 Liter Warmwasser am Tag. Aber bis das Wasser überhaupt warm ist, sind oft schon 5 bis 10 Liter weg. Dieses Wasser muss dann für duschen, rasieren, putzen, waschen und Geschirr spülen reichen. Manchmal geht sich das aus, manchmal aber auch nicht.

Was haben Sie eigentlich den ganzen Tag in der Zelle gemacht?

Es kann jederzeit passieren, dass du abgeholt wirst und eine andere Zelle verlegt. Auch die Wärter können jederzeit in deine Zelle kommen. Deshalb war ich auch den ganzen Tag in Straßenkleidung. Insgesamt habe ich versucht, einerseits so zu leben, wie wenn ich morgen freikommen würde. Und andererseits so, wie wenn ich sehr lange Zeit im Gefängnis bleiben muss.

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Ich habe vor allem versucht, sehr diszipliniert zu sein. Ich habe viel gelesen, viel mit meinem Zellengenossen diskutiert und viel Sport gemacht. Ich habe auch viele Briefe geschrieben. Alle Briefe müssen auf Türkisch und mit der Hand geschrieben werden. Mein Türkisch ist zwar ziemlich gut, aber natürlich braucht das alles viel Zeit.

Apropos Schreiben. Vor wenigen Tagen ist ein Buch mit Ihren gesammelten Schriften unter dem Titel „Die Türkei am Scheideweg“ erschienen. Könnte sich das vor Gericht nicht negativ für Sie auswirken?

Ich werde das Buch beim Gerichtstermin am 11. September sogar selbst offiziell dem Gericht übergeben. Eben genau, weil ich nichts zu verbergen habe.

Sie sind jetzt zwar in Freiheit, dürfen aber das Land nicht verlassen. Welche Folgen hat das für Sie?

Grundsätzlich müssten wir vermutlich zuerst den Freiheitsbegriff definieren. Wie frei sind wir im Kapitalismus? Für mich war das Gefängnis ein anderer Raum, wo der Kampf weitergeht. Selbstverständlich heißt das nicht, dass das Leben außerhalb des Gefängnisses nicht viel schöner ist.

Aktuell bin ich jedenfalls in einer ziemlich seltsamen Situation. Ich bin in Freiheit und trotzdem gefangen. Ich habe keinerlei Rechtsstatus in der Türkei, darf aber gleichzeitig das Land nicht verlassen. Das bedeutet beispielsweise, dass ich keinerlei Gesundheitsversicherung haben kann. Für kleinere Probleme gibt es glücklicherweise linke Ärzt*innen, die mir helfen. Wenn es aber ein komplizierteres medizinisches Problem geben würde, wäre ich vermutlich im Arsch.

Impressionen aus Kurdistan

Das Fehlen eines Rechtsstatus bedeutet auch viele andere Probleme. Ich kann mich etwa nicht wieder auf der Universität anmelden und ich kann nicht einmal auf mein Online-Banking zugreifen. Ansonsten versuche ich, mein Leben möglichst weiterzuleben.

Haben Sie auch den Eindruck, dass Sie überwacht werden?

Aus den Prozessakten habe ich erfahren, dass mein Telefon offiziell bereits fünf Monate vor meiner Verhaftung abgehört worden ist und ich zwei Monate lang beschattet worden bin. Es ist gut möglich, dass die Überwachung inoffiziell sogar noch wesentlich länger gelaufen ist. Das ist schon ein sehr komisches Gefühl.

Es ist möglich, dass ich weiter überwacht werde, im Moment glaube ich es aber eher nicht. Natürlich versuche ich, zu überprüfen, ob ich beschattet werde. Beispielsweise, indem ich eine Route im Kreis gehe und sehe, ob mir jemand nachgeht. Es könnte auch gut sein, dass unser Gespräch aufgezeichnet wird.

Spenden

Alles hier läuft über türkische Provider, wo der Staat meist Zugriff hat. Und wir wissen ja, dass zusätzlich auch die Konzerne teilweise selbst aufzeichnen.

Wie hilfreich waren die österreichischen Behörden in Ihrem Fall?

Ich habe selbst nie politische Forderungen an den Staat Österreich gestellt. Denn im Gegensatz etwa zum deutschen Journalisten Deniz Yücel war ich keine zwischenstaatliche politische Geisel.

Die Zuständigen vor Ort haben mich im Rahmen der Möglichkeiten unterstützt. Wie groß ihre Einflussmöglichkeiten tatsächlich sind, kann ich nicht sagen. Sehr sicher bin ich mir, dass der Druck der Kampagne #FreeMaxZirngast von Anfang an enorm dabei geholfen hat, dass der österreichische Staat und die Behörden den Fall ernst nehmen.

Am Anfang hatte ich das Gefühl, dass die Behörden nicht verstanden haben, wie eine so absurde Anklage überhaupt zustande kommen kann. Genauso ist es übrigens meinen Eltern gegangen, die mich immer sehr unterstützt haben. Sie haben sehr große Sachkenntnis gezeigt, aber manche Sachen sind einfach zu absurd, als dass man sie gleich voll und ganz verstehen könnte. Wer lange genug in der Türkei lebt, weiß aber, wie das hier abgeht.

Wie schätzen Sie als Journalist die politische Lage in der Türkei ein?

Die Türkei hat eine lange Tradition des despotischen Staates. Und die Regierungspartei AKP versucht verzweifelt, an der Macht zu bleiben. In den letzten Monaten heizte sie etwa den Rassismus gegen geflüchtete Menschen aus Syrien an. Die AKP versucht so, die Opposition zu spalten, die teilweise verlorene Initiative wieder zurückzugewinnen und in letzter Instanz Stimmen zu gewinnen.

Kleidung treibt in der Bucht von Dikili

Von den großen Medienhäusern ist nichts zu erwarten. Die Tageszeitungen und die meisten Fernsehsender sind real gleichgeschalten, kritische Seiten im Internet sind oft blockiert – wobei die meisten Leute wissen, wie sie die Sperren umgehen können. Insgesamt fährt die Regierung einen massiven Angriff auf freie politische Meinungsäußerung, auf Kunst und Kultur.

Gleichzeitig sind enorm viele Menschen unzufrieden und frustriert. Immer mehr Menschen halten etwa das Leben nicht mehr ohne Medikamente aus. Es gibt Statistiken, dass der Gebrauch von Antidepressiva massiv zugenommen hat.

Und es gibt auch sehr viele soziale Proteste. Es gibt eine große Unzufriedenheit unter Beschäftigten und Arbeitslosen, es gibt Streiks und auch der Widerstand gegen die Zerstörung der Umwelt bekommt immer größere Bedeutung.

Pressekonferenz in Wien anlässlich der Fortsetzung des Prozesses gegen Max Zirngast. (v.l.) Barbara Zirngast, ÖJC-Präsident Fred Turnheim und der Wiener Strafrichter Friedrich Forsthuber.

Wenn Sie verurteilt werden, drohen Ihnen bis zu 7,5 Jahre Haft. Wie gehen Sie damit um?

Ich finde Spekulationen eher überflüssig, weil völlig unklar ist, was passieren wird. Ich rechne mit einem Freispruch oder mit einer geringen Strafe. Es kann sein, dass ich nach dem Prozess ausreisen muss. Es kann aber auch sein, dass ich nicht ausreisen darf. Es ist immer alles extrem willkürlich und unsicher.

Die türkischen Terrorgesetze sind schlichtweg Gummi-Paragrafen. Es gibt da den Passus der sogenannten sprachlichen Einheit. Man kann also theoretisch für Dinge verurteilt werden, die du sagst, wenn sie sich teilweise mit dem decken, was als terroristisch eingestufte Organisationen sagen.

Braune Wölfe im Schafspelz

Wenn also beispielsweise die PKK sagt, sie will die Demokratisierung der Türkei und Friedensverhandlungen zur Lösung der kurdischen Frage und du sagst das auch, könntest du dafür bereits verurteilt werden. Wer verurteilt wird und wer nicht, das entscheiden die Behörden.

Gibt es noch etwas, was Ihnen besonders wichtig ist?

Extrem wichtig ist mir, dass ich kein Einzelfall bin. Bei meiner eigenen Terror-Anklage wurde ich gemeinsam mit sieben weiteren Freundinnen und Freunden beschuldigt. Insgesamt betrifft die Repression in der Türkei hunderttausende Menschen.

Ich möchte mich sehr herzlich bei allen bedanken, die mich bisher bereits unterstützt haben – und gleichzeitig möchte ich an all diejenigen erinnern, die noch in den türkischen Gefängnissen sitzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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