So hart ging die Polizei gegen die Demo beim EU-Gipfel in Salzburg vor

Alle Bilder: Michael Bonvalot

[Vice] Die “Omas gegen rechts” beruhigten kurzzeitig die Lage. Andere deutsche AktivistInnen steckte die bayerische Polizei noch vor der Demo in Vorbeugehaft.

[Erstveröffentlichung: Vice] Pyro-Fackeln brennen in leuchtendem Orange, auch die Menschen im ersten Block tragen Kleidung in der Farbe der Seenotrettung. “Wir wollen unsere Solidarität mit geflüchteten Menschen ausdrücken”, erklärt Stephan Prokop von der “Plattform Radikale Linke”, die die Demo gemeinsam mit dem Bündnis “Solidarisches Salzburg” organisiert.

In den Reihen hinter dem orangefarbenen Block wehen die Banner anderer Bündnisse, etwa der “Omas gegen Rechts”. Die Botschaften sind vielfältig: Für “mehr soziale Rechte”, den Kommunismus und “Solidarität mit dem kurdischen Befreiungskampf” – gegen Kapitalismus, die österreichische Bundesregierung und die “Abschottungspolitik der EU”.

Alle Bilder: Michael Bonvalot

Mindestens 1.300 Menschen sind am Donnerstagnachmittag in Salzburg auf die Straße gegangen, um gegen den EU-Gipfel in der Stadt zu protestieren. VICE hat ihre Zahl geschätzt, die Polizei spricht nur von 900 Teilnehmenden.

Die Demonstration zog vom Salzburger Hauptbahnhof zu einem Park am Rande der Stadt. Nicht alle, die mitlaufen wollten, haben es allerdings bis nach Salzburg geschafft.

Mindestens 18 Menschen wurden bereits von der bayerischen Polizei an der Teilnahme gehindert. Das gab die Salzburger Polizei in einer Pressemitteilung bekannt. Bayerische Aktivisten und Aktivistinnen berichten, dass die Menschen in Vorbeugehaft genommen wurden. Die Gruppe “Antifa Kampfausbildung” schrieb am frühen Donnerstagnachmittag auf Facebook: “Die bayerische Polizei zieht momentan reihenweise Leuten aus Zügen und hindert sie an der Anreise zu den Protesten gegen den EU-Gipfel in Salzburg. Dabei werden offensichtlich DNA-Proben entnommen und sogar Ausreiseverbote ausgesprochen”. Die im Mai in Kraft getretenen Änderungen des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes erlauben es Polizisten deutlich häufiger, DNA-Proben von Verdächtigen zu nehmen.

Auf der Strecke in Salzburg kommt es am Nachmittag immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und Polizei. Bereits nach rund einem Kilometer, als der Zug durch eine extrem enge Gasse führen soll, stoppen die ersten Reihen und weigern sich zunächst, die Demo fortzusetzen. Die Polizei setzt Schlagstöcke ein. Als der grüne EU-Abgeordnete Michel Reimon zu intervenieren versucht, wird er von einem Schlagstock im Gesicht getroffen. Sein Gesicht schwillt danach an. “Die Demo ist bunt, friedlich und wichtig” erklärte Reimon gegenüber VICE. “Innenminister Kickl aber freut sich über jede Eskalation.”

Eine Änderung der Strecke lehnt die Polizei ab. “Es kommt überhaupt nicht in Frage, dass die Demo irgendeine andere Route geht”, so ein uniformierter Einsatzleiter zu einer Person aus der Demo-Leitung. Schließlich setzen sich die “Omas gegen Rechts” an die Spitze des Zuges – unmittelbar hinter die Ketten der Polizei. Mit diesem Puffer erklären sich die Organisatoren bereit, die Demo auf der ursprünglichen Route fortzusetzen.

Ohne größere Zwischenfälle erreicht die Demo die Abschlusskundgebung in einem Park am Rande der Stadt. Kurz zuvor gibt es noch eine Identitätsfeststellung durch zivile Polizei. Sie dürften die leere Flasche einer Person mit einer pyrotechnischen Fackel verwechselt haben, wie mehrere Menschen gegenüber VICE berichten.

Die Person kann aber dann doch wieder gehen – offenbar konnten die Einsatzkräfte darüber aufgeklärt werden, wie eine pyrotechnische Fackel aussieht. Nun ist es zirka 17:00 Uhr, die Demo erreicht den Park, in dem die Abschlusskundgebung stattfinden soll. Die Stimmung ist friedlich, es scheint, als sei die Demo endgültig vorbei. Viele kühlen sich bereits in einem Teich im Park ab oder liegen auf der Wiese. Doch tatsächlich beginnt jetzt ein langer Abend der Polizeigewalt.

Wie genau die Eskalation hereinbricht, kann ich nicht nachvollziehen. Einige AktivistInnen dürften einen nahegelegenen Kreisverkehr blockiert haben. Die Polizei verhaftet dort mindestens zwei Personen und erklärt, die beiden seien “mit Eisenstangen auf Polizeibeamte losgegangen”.

Alina Kugler vom Bündnis “Solidarisches Salzburg” widerspricht später: “Eine solche Stange ist auf keinem von hunderten Fotos dokumentiert und auch von niemandem gesehen worden.” Die Polizei habe den Vorwurf vor Ort auch noch gar nicht erhoben, sondern die Festnahmen mit Identitätsfeststellungen begründet. Mehrere Aktivistinnen und Aktivisten, die die Situation vor Ort beobachtet hatten, erklärten gegenüber VICE, auch sie hätten keine Eisenstangen wahrgenommen.

In der Folge setzt die Polizei Pfefferspray gegen Demonstrierende ein, die sich dem Arrestwagen mit einem der Festgenommen darin nähern. Auf beiden Seiten des Polizeiwagens werden in der Folge Sitzblockaden gebildet, um den Abtransport der Person zu verhindern. Die Polizei setzt nun immer wieder Pfefferspray ein. In ihrer Pressemitteilung erklärt die Polizei dazu später: “Verletzt wurde niemand.”

Tatsächlich müssen mehrere Menschen am Rande der Kundgebung von Sanitäterinnen und Sanitätern versorgt werden. Die Gesichter sind von Pfefferspray gerötet und schmerzverzerrt, manche Menschen wirken desorientiert.

Alina Kugler von “Solidarisches Salzburg” sagt gegenüber VICE, einem 16-jährigen Aktivisten, der gerade twitterte, sei unvermittelt Pfefferspray “mitten ins Gesicht gesprüht” worden. Der junge Demonstrant stehe immer noch unter Schock.

Auch Stephan Prokop von der “Plattform Radikale Linke”, kritisierte die “Repression durch die Polizei, die unser Recht einschränken möchte, gegen den EU-Gipfel der Herrschenden zu demonstrieren”.

An dieser Stelle wird auch die Wiener Spezialeinheit WEGA eingesetzt. Sie geht brutal gegen DemonstrantInnen vor, Menschen werden gestoßen und geschlagen. Eine Person wird aus vollem Lauf von einem Polizisten getreten, wie mir mehrere Menschen unabhängig voneinander erzählen.

Ein junger Mann wird gerade von Sanitätern versorgt. Er wirkt benommen und blutet. Ein Polizist habe ihm mit dem Schlagstock auf den Kopf geschlagen. Ein anderer Polizist soll während des Einsatzes gesagt haben: “Seid froh, dass wir nicht in der Türkei sind. Da würden wir euch überfahren”. Das erklären zwei Personen gegenüber VICE.

Schließlich meldet sich die Polizei über einen Lautsprecherwagen: “Die angehaltene Person wurde freigelassen”. DemonstrantInnen fordern, dass die Tür des Wagens zum Beweis geöffnet wird. Das will die Polizei allerdings nicht tun. Als Antwort folgen Sprechchöre: “Die ganze Welt hasst die Polizei!”

Schließlich kann bestätigt werden, dass die Person tatsächlich draußen ist. Was die Polizei zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht bekannt gibt: Insgesamt wurden bei dieser Kundgebung und den Blockaden laut Polizei sogar zehn Personen vorläufig festgenommen. Als Reaktion auf die Verhaftungen organisieren Aktivistinnen und Aktivisten eine spontane Solidaritätskundgebung vor der Landespolizeidirektion in der Alpenstraße. Auch dort eskaliert die Lage.

Als ein Mann, der eine Bananenschale in Richtung Polizei geworfen haben soll, verhaftet wird, bin ich vor Ort. Der Mann liegt zu diesem Zeitpunkt am Boden und schreit, offenbar vor Schmerzen. Als ich die Situation dokumentieren will, werde ich von Polizisten zunächst weggestoßen.

Mit der Demonstration selbst zeigt sich Alina Kugler zufrieden: “Die Demo war richtig gut und ein großer Erfolg”, sagt sie. Wir haben lautstark unseren Protest und unseren Widerstand gegen Sozialabbau und die Politik der Abschottung gezeigt.”

Auch Stephan Prokop sieht das ähnlich. “Wir haben heute ein starkes und sichtbares Zeichen gegen die Festung Europa gesetzt.” Das Vorgehen der Polizei kritisieren beide allerdings scharf.

In ihrer Pressemitteilung schreibt die Polizei, aus ihrer Sicht sei der Einsatz beim Gipfeltreffen in Salzburg “großteils positiv” verlaufen. Zahlreiche verletzte Demonstrantinnen und Demonstranten dürften das anders sehen.

Update vom 21. September, 14:53: Der Sprecher der Salzburger Polizei, Michael Rausch, erklärte am Freitag gegenüber VICE, dass es am Donnerstag auf der Demo “Vorfälle mit Stangen” gegeben habe. Ob sie aus Eisen waren, wie zuvor gesagt wurde, wolle er aber weder bestätigen noch dementieren. Das müsse noch “überprüft werden”.

VICE hat außerdem Demonstrierende gefragt, was sie auf die Straßen getrieben hat. Das haben sie geantwortet:

Moritz

“Ich bin heute gegen die EU der Banken und Konzerne auf der Straße. Ich glaube, dass es notwendig ist, die Politik von Kurz, Strache und ihren europäischen Freunden zu bekämpfen. Die Demo sollte ein Ausgangspunkt für Proteste und Streiks gegen den Zwölfstundentag und die Zerschlagung des Gesundheitssystems sein.”

Stephan

“Heute treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU im herrschaftlichen und barocken Ambiente von Salzburg. Wir sollten aber auf die Inhalte des Gipfels schauen. Wir sehen Verschärfung und Abschottung nach Außen und Repression und Konkurrenz nach Innen. Ich wünsche mir eine kraftvolle, entschlossene und kämpferische Demonstration. Ich glaube, dass es notwendig ist, eine internationale Bewegung der praktischen Solidarität aufzubauen.”

Brigitte

“Ich bin eine widerständige Pensionistin. Ich finde die europäische Politik der Abschottung, des Rechtsruck und der Festung Europa einfach unerträglich. Ich glaube auch nicht, dass es so etwas wie illegale Migration gibt. Menschen sind nicht illegal. Das ist ein Propaganda-Schlagwort. Migration gab es immer und das ist auch völlig in Ordnung. Ich bin auch für Sicherheit, aber damit meine ich vor allem soziale Sicherheit und die Sicherheit, bezahlbaren Wohnraum zu haben.”

Christian und Bettina

“Die Politik kann so nicht weitergehen. Ich will ein Europa der Freiheit, der Offenheit und der Vielfältigkeit.” – Christian

“Viele Leute schauen heute auf Salzburg. Deshalb ist es mir wichtig, dass eine sichtbare Gegenbewegung da ist.” – Bettina

Luna, Timon und Jonas

“Die gegenwärtige Politik ist extrem unsozial. Der Gipfel bringt überhaupt nichts. Es wäre viel besser, das Geld, das hier ausgegeben wird, in die Flüchtlingshilfe zu investieren.”

Judith

“Ich arbeite selbst mit geflüchteten Menschen. Mir ist es extrem wichtig, ein Zeichen gegen die aktuelle Asylpolitik zu setzen. Wir müssen uns vernetzen und gemeinsam auf die Straße gehen.”

Katharina, Lisa, Caro

“Wir demonstrieren gegen die Abschottung und die Abschiebepolitik der EU. Wir hätten uns zwar gewünscht, dass noch mehr Leute kommen. Aber für einen Termin unter der Woche und die Uhrzeit ist es eigentlich ziemlich gut.”

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