„Wir brauchen eine EU-weite Mindestmaut für LKW“

[ND] Christian Gratzer (Verkehrsclub Österreich) über Sinnlos-Transporte durch Europa und das Leiden der Bevölkerung am Brenner

[Gekürzte Erstveröffentlichung: Neues Deutschland, 25.07.2019] Beim Verkehrsgipfel am 25.07. in Berlin wollen Deutschlands Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Tirols Landeschef Günther Platter (ÖVP) Lösungen für das Verkehrschaos am Brenner finden. Christian Gratzer von der Mobilitäts-NGO Verkehrsclub Österreich (VCÖ) – Mobilität mit Zukunft ist skeptisch. Im ND-Gespräch erklärt er, welche Alternativen es zum LKW gibt, was der Verkehr für die Bevölkerung bedeutet und welche Rolle Nordseekrabben dabei spielen.

Die Brennerachse in Tirol ist komplett überlastet. Was kann der Transitgipfel in Berlin daran ändern?

Vor allem geht es darum, aufzuzeigen was geändert werden müsste. Für die Bevölkerung wie für die deutschen Urlauber wäre zentral, dass Bahnverbindungen rasch ausgebaut werden. Und der LKW-Verkehr muss auf die Schiene verlagert werden. Bei bisherigen Verkehrsgipfeln ist leider kaum Konkretes herausgekommen. Doch ich lasse mich gerne positiv überraschen.

Warum ist die Situation gerade am Brenner so problematisch?

Der Brenner ist ein Nadelöhr. Einerseits für Urlauber, andererseits für den Güterverkehr zwischen Nordeuropa und Italien. Mehr als die Hälfte des alpenquerenden Güterverkehrs geht über den Brenner, mittlerweile sind wir bei 2,5 Millionen Fahrten pro Jahr.

Ein weiteres Problem ist der Umwegtransit. Die Maut ist in Österreich billiger als in der Schweiz, dazu ist Diesel durch niedrigere Steuern besonders günstig. Dafür gibt es keinen Grund, für die Umwelt ist Diesel besonders schädlich. Wegen der geringeren Kosten nehmen viele LKW die längere Route durch Österreich. Das sind mindestens 200.000 jährliche LKW-Fahrten über den Brenner.

Was bedeutet das für die örtliche Bevölkerung?

Die Bevölkerung am Brenner leidet. Es ist eine Tallage, dadurch hat der Verkehr besonders schädliche Auswirkungen. Die Lärmbelastung ist intensiv, Schadstoffe und Feinstaub bleiben im Kessel.

„Die Bevölkerung am Brenner leidet.“ Christian Gratzer, VCÖ

Die Menschen haben ein höheres Risiko für Atemwegserkrankungen, auch der Lärm führt zu gesundheitlichen Problemen. Eine Studie  der Universität Innsbruck hat sogar gezeigt, dass bei Kindern durch die Lärmbelastung die Konzentration sinkt. In den Dörfern bedeutet der Straßenverkehr, dass  Einwohnerinnen und Einwohner oft nicht einmal alltägliche Erledigungen wie Einkäufe erledigen können, ohne ewig im Stau zu stehen.

Der Brennertunnel für die Eisenbahn soll 2028 fertig werden. Ein Schritt aus dem Verkehrschaos?

Eigentlich hätte der Tunnel bereits rund um 2005 fertig werden sollen, da wurden also Jahrzehnte verpasst. Wichtig sind nun leistungsfähige Zulaufstrecken,  vor allem Deutschland und Italien sind gefordert.

Mobilität und Transport werden in Zukunft über die Schiene stattfinden müssen. Die rollende Landstraße ist eine wichtige Maßnahme, um den Güterverkehr auf die Schiene zu bekommen. Ergänzt werden müsste das mit sektoralen Fahrverboten. Bestimmte Güter dürften dann nur auf der Schiene transportiert werden.

Wären höhere LKW-Mautgebühren eine Lösung?

In der EU gibt es eine Höchstmaut, die zu niedrig ist und fast nirgends verlangt wird. Wenn ein LKW von Rotterdam nach Italien fährt und nur am Brenner eine höhere Maut zahlt, hat das über die Gesamtstrecke kaum finanzielle Bedeutung. Stattdessen brauchen wir eine EU-weite Mindestmaut mit Echtkosten.

Die deutsche Regierung muss sich die Frage stellen lassen, warum die LKW-Maut in Deutschland verhältnismäßig niedrig ist. Ein Vorbild ist  die Schweiz , dort werden LKW flächendeckend bemautet, die externen Kosten sind nahe an den Echtkosten. Das Geld wandert teils zweckgewidmet in den Bahnausbau.

Was meinen Sie mit externen Kosten?

LKWs bringen enorme Kosten für Umwelt, Infrastruktur, durch Unfälle und für das Gesundheitssystem. LKW-Transport verursacht rund siebenmal höhere externe Kosten als die Schiene. Für Frächter dennoch ein gutes Geschäft, denn diese Kosten trägt zum größten Teil die Allgemeinheit.

Weil der LKW so billig ist, gibt es Sinnlos-Transporte kreuz und quer durch Europa. Nordseekrabben etwa werden zum Pulen nach Marokko transportiert, dann zurück gefahren und in Hamburg verkauft.

Gleichzeitig müssen die Arbeitsbedingungen der Fahrer verbessert werden. Da geht es um Sozialdumping, Mindestlöhne, Arbeitszeiten und um Arbeitsdruck, der oft dazu führt, dass Tempolimits ignoriert werden.

Was bedeutet es sozialpolitisch, wenn Steuern und Transportkosten steigen?  

Da müssen wir auch über den Massenverschwendungskonsum sprechen. Immer mehr sinnlose Waren werden transportiert, die immer schneller kaputt werden.

Gleichzeitig verursacht heute das reichste Viertel der Haushalte durch ihre Mobilität viermal so viel klimaschädliches CO2  wie das ärmste Viertel, Fliegen noch gar nicht eingerechnet.  Gut wäre, wenn jene, die mehr CO2 ausstoßen, auch mehr zahlen. Gleichzeitig könnte es einen CO2-Bonus für die ärmeren Teile der Bevölkerung geben. Damit wäre das sozialpolitisch sogar eine wichtige Umverteilungsmaßnahme.

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