Arbeitszeit? Verkürzen!

Demonstration von Beschäftigten des Sozialbereichs in Wien am 29.01.2019. Bild: Michael Bonvalot
[AW] ÖVP und FPÖ haben die 60-Stunden-Woche möglich gemacht. Die Mehrheit der Beschäftigten will das Gegenteil: Eine Arbeitszeitverkürzung auf höchstens 35 Stunden.

[Erstveröffentlichung: Arbeit und Wirtschaft] Wenn die Blätter sich verfärben, wenn es kühler wird, wenn die Nächte länger werden, dann wissen wir: Der Winter kommt. Sehr viele arbeitende Menschen in Österreich wissen allerdings noch etwas anderes: Spätestens jetzt kommt die Zeit, in der es am Weg zur Arbeit noch dunkel ist. Und dunkel ist es bereits wieder, wenn der Arbeitstag vorbei ist. Die Sonne? Sie zeigt ihr freundliches Gesicht bestenfalls in der Mittagspause oder bei einem kurzen Blick aus dem Fenster.

Nur in Großbritannien und in Zypern sind die Arbeitswochen noch länger als in Österreich.

Durchschnittlich 41,2 Stunden pro Woche müssen Menschen mit einem Vollzeitjob derzeit in Österreich arbeiten. Bei einer 5-Tage-Woche also fast 8,5 Stunden pro Arbeitstag. Dies ist weit mehr als im EU-Durchschnitt, wie aktuelle Eurostat-Daten zur Arbeitszeit zeigen. Nur in Großbritannien und in Zypern sind die Arbeitswochen noch länger als in Österreich. Der EU-Schnitt liegt mit 40,2 Stunden eine volle Stunde unter den österreichischen Arbeitszeiten. Genau im Durchschnitt ist die Arbeitszeit in Deutschland, in Dänemark sind es vergleichsweise niedrige 37,8 Stunden – fast 3,5 Stunden weniger als in Österreich.

Während viele Menschen enorm viel arbeiten müssen, finden andere gar keinen Job.

Während viele Menschen also enorm viel arbeiten müssen, finden andere gar keinen Job. Im Jahr 2018 waren in Österreich ganze 7,7 Prozent der Beschäftigten arbeitslos. Die sogenannte verdeckte Arbeitslosigkeit ist da noch gar nicht enthalten. Das betrifft etwa Personen, die sich mangels Ansprüchen nicht beim AMS melden oder erzwungene Frühpensionen.

„Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und eine Aufteilung der Arbeit sind absolut überfällig.“

Für Sozialforscherin Claudia Sorger zeigen diese Zahlen: „Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und eine Aufteilung der Arbeit sind absolut überfällig.“ Sorger forscht bereits seit Jahren zum Arbeitsmarkt, zur Gleichstellung und zur Arbeitszeit. Sie erinnert daran, dass „die letzte Arbeitszeitverkürzung in Österreich im Jahr 1975 durchgeführt wurde. Das ist inzwischen 44 Jahre her.“

Arbeitsweg bedeutet Arbeitszeit

Die Zahlen von Eurostat erfassen dabei sogar nur einen Teil der Zeit, die für den Arbeitsprozess aufgewendet wird. Vor allem der Weg von und zum Arbeitsplatz spielt eine wesentliche Rolle. Das zeigt etwa die aktuelle PendlerInnen-Umfrage der Arbeiterkammern Wien, Niederösterreich und Burgenland. Für diese neue Umfrage, die im September 2019 veröffentlicht wurde, wurden PendlerInnen der Ostregion befragt.

Drecksarbeit

Mehr als 2.000 Auto-, Bus- und BahnpendlerInnen haben online geantwortet. Mehr als ein Drittel aller Befragten braucht für den Arbeitsweg täglich über zwei Stunden. Für mehr als ein Zehntel aller Befragten (11 Prozent) ist der tägliche Arbeitsweg sogar mehr als drei Stunden lang. Und nicht nur PendlerInnen leiden unter langen Anfahrtswegen: Auch innerhalb der größeren Städte kann der Zeitaufwand für den Arbeitsweg schnell über eine Stunde betragen.

Für viele beginnt auch die Arbeit bereits am Arbeitsweg. So werden etwa E-Mails oder das Arbeitshandy gecheckt – oft komplett unbezahlt.

Für viele beginnt auch die Arbeit bereits am Arbeitsweg. So werden etwa E-Mails oder das Arbeitshandy gecheckt – oft komplett unbezahlt. Das Problem des Arbeitens in der Freizeit zeigt eine aktuelle und repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IFES im Auftrag der GPA-djp. „Wie oft kommt es vor, dass Sie sich auch in Ihrer Freizeit oder im Urlaub mit beruflichen Dingen befassen?“ lautete die Frage. Mehr als die Hälfte aller Befragten (55 Prozent) sagen, dass sie sich auch in ihrer Freizeit mit beruflichen Dingen befassen. Ein Fünftel der Beschäftigten ist in der Freizeit sogar regelmäßig mit dem Job konfrontiert.

Weit über 50 Stunden

Doch auch für jene Beschäftigten, die nicht in der Freizeit arbeiten, ist die Arbeitswoche sehr lang: ein Vollzeitarbeitsplatz, dazu der Weg von und zum Arbeitsplatz. Nicht zu vergessen die Mittagspause, die – obwohl meist unbezahlt – der unmittelbaren Erholung vom Job dient und Teil des Arbeitstages ist. Da kommen schnell weit mehr als 50 Stunden pro Arbeitswoche zusammen. Dass da kaum mehr Zeit für Familie, PartnerIn, Freizeit oder Hobbys bleibt, kann niemanden verwundern. Das zeigen auch die Zahlen.

Mindestsicherung: „Es soll sich niemand mehr schämen“

So wurden die TeilnehmerInnen der GPA-djp-Umfrage gefragt: „Was hindert sie daran, Ihre Freizeit vollständig nach Ihren Wünschen zu gestalten?“ Fast die Hälfte, 48 Prozent, antwortet, dass sie dafür schlicht zu wenig Zeit habe. 40 Prozent sagen, dass sie nach der Arbeit einfach zu müde oder zu erschöpft seien.

Nicht nur die Arbeitszeit in Österreich ist außerordentlich hoch – auch die Arbeitsintensität hat drastisch zugenommen.

Das ist kein Wunder. Denn nicht nur die Arbeitszeit in Österreich ist außerordentlich hoch – auch die Arbeitsintensität hat drastisch zugenommen, erzählt Sozialwissenschafterin Sorger. „Das haben wir etwa bei einer Studie unter Wiener Fabriksarbeiterinnen gesehen. Sogar Rauchpausen werden oft von der Arbeitszeit abgezogen.“ Gute Belege gebe es auch für die Bereiche Pflege und Soziales: „Die KlientInnenzahlen nehmen zu, die Arbeitsbelastung steigt.“ Deshalb wäre bei einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung auch die Aufstockung des Personals so wichtig, sagt Sorger.

Besonders problematisch sei die Verdichtung, wenn die zunehmende Teilzeitarbeit mitbedacht werde. „Viele Teilzeitbeschäftigten arbeiten kaum weniger als bei einem Vollzeitjob. Aber die Bezahlung ist weit schlechter.“ Das würde vor allem Frauen betreffen. Die Folge: Frauen verdienen weniger und bekommen weniger Pension. Es entsteht eine Armutsfalle, die enorme Abhängigkeiten schafft.

Enorme Ungleichheit

Dabei sei der Anteil der Arbeit, die Frauen leisten, sogar massiv nach oben gegangen, so Sorger. Hausarbeit, Pflege oder die Versorgung von Kindern würden immer noch hauptsächlich auf Frauen lasten – die zusätzlich oft mindestens Teilzeit arbeiten. „Diese reproduktive Arbeit müsste in den Debatten um Arbeitszeitverkürzung viel mehr in den Fokus rücken“, so Sorger.

Zu viel Arbeit ist ungesund

Erholung ist da Mangelware, wie auch die GPA-djp-Studie zeigt. So wurden die Beschäftigten gefragt, ob sie in ihrer Freizeit unter der Woche abschalten und sich für den nächsten Arbeitstag gut erholen können. 18 Prozent der Befragten – fast ein Fünftel – sagen, sie könnten das „eher weniger“ oder „so gut wie gar nicht“. Weitere 36 Prozent sagen, es ginge gerade „einigermaßen“. Nicht einmal die Hälfte der Beschäftigten (46 Prozent) meint hingegen, dass sie sich „gut“ oder „sehr gut“ erholen könnte.

Diese Arbeitsintensität ist nicht nur anstrengend, sondern auch sehr ungesund.

Diese Arbeitsintensität ist nicht nur anstrengend, sondern auch sehr ungesund. Der Mediziner Peter Hofer berichtet von Forschungen zur Arbeitszeit: „Eine Studie zeigt, dass bei Teilzeitarbeit bis 19 Stunden rund 10 Prozent der Betroffenen unter Schlafstörungen leiden. Bei 40 Stunden Arbeit sind es bereits 20 Prozent, also das Doppelte.“ Frauen seien dabei nochmals häufiger betroffen als Männer. „Vermutlich, weil vor allem für Frauen die Arbeit zu Hause weitergeht, sie also noch weniger abschalten können“, so Hofer.

Löhne in Österreich sinken seit Jahren real für die meisten Beschäftigten

Die möglichen medizinischen Folgen erklärt der Arzt so: „Stress führt zu Herz-Kreislauf-Beschwerden, Blutdruck und Puls erhöhen sich, das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall steigt. Dazu kommen psychische Probleme bis zu Depressionen und Burn-out.“

„Maximal sechs Stunden“

Burn-out sei überhaupt eine klassische Erkrankung, die oft unmittelbar mit dem Arbeitsdruck zusammenhängt. Und es folgen noch andere Probleme, so steigt mit der Arbeitszeit auch das Unfallrisiko am Arbeitsplatz, wie etwa eine Studie der AUVA zeigt. Die optimale Arbeitszeit aus Sicht von Mediziner Hofer? „Maximal sechs Stunden pro Tag.“ Die Bundesregierung aus ÖVP und FPÖ hingegen ist mit 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche genau den gegenteiligen Weg gegangen.

Spenden

Sozialwissenschafterin Sorger nennt noch einen anderen Aspekt: „Es geht um eine bessere Gestaltung der Arbeitswelt. Und es geht um die Frage, wie wir unser Leben gestalten wollen. Soll der Profit bestimmen – oder soll die Lebensqualität der Menschen im Vordergrund stehen?“

60 Prozent aller Beschäftigten und sogar 72 Prozent aller Frauen wünschen sich eine Arbeitszeit von höchstens 35 Stunden.

Das sieht eine klare Mehrheit der Beschäftigten offenbar ganz ähnlich. In der GPA-djp-Umfrage wurden die KollegInnen auch gefragt, wie viel sie gern arbeiten würden. Die Antwort ist eindeutig: 60 Prozent aller Beschäftigten und sogar 72 Prozent aller Frauen wünschen sich eine Arbeitszeit von höchstens 35 Stunden.

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