Die letzten Stunden vor der Fahrt ins Ungewisse

Bildreportage: An der Bucht zwischen Dikili und Çandarli beginnt für tausende Menschen der letzte Abschnitt ihrer Flucht nach Europa. Wir folgen dem Pfad zum Wasser. 

[Text und Bilder: Michael Bonvalot und Tanja Boukal] Eine Kurve auf der hochgelegenen Küstenstraße. Das Auto fährt langsam, unser Kontakt meint, wir sollten genauer hinsehen. Dann sehen wir einen kleinen Pfad, er schlängelt sich die Felsen hinunter zum Meer. Genau an dieser Bucht beginnt für tausende Menschen der letzte Abschnitt ihrer Flucht nach Europa.

Wir folgen zu Fuß dem Pfad zum Wasser. An den Feuerstellen, die überall zu sehen sind, haben sich die Menschen wohl notdürftig gewärmt. Immer noch kann es hier in der Nacht empfindlich kalt werden.

IMG_3809zurückgelassen_TB_web
Überall liegt Kleidung verstreut, dazwischen sehen wir einzelne Schuhe, zerdrückte Wasserflaschen und leere Medikamenten-Schachteln.
IMG_4034_zurückgelassen_TBzurückgelassen_tb_web
IMG_4007zurückgelassen_TB_web
Die zurückgebliebenen Gegenstände lassen vermuten, dass hier auch sehr viele Kinder auf die Überfahrt warten. Gebrauchte Windeln, Baby-Handschuhe, ein Fläschchen.
20160415_200619zurückgelassen_MB_web
IMG_3798zurückgelassen_TB_web
Unser Kontakt sagt uns, dass die Eltern ihren Kindern oft erzählen, dass sie hier auf Urlaub seien und nun eine Bootsfahrt beginnen würden – die Kinder sollen sich keine Sorgen machen. Tatsächlich aber ist die Überfahrt lebensgefährlich. Schwimmflügel und Schwimmreifen mögen vielleicht vor dem Untergehen schützen, doch im kalten Wasser gibt es dennoch kaum Überlebenschancen.
IMG_4006zurückgelassen_TB_web
IMG_4027zurückgelassen_TB_web

Wir sehen auch sehr viele Verpackungen für Schlauchboot-Flickzeug, wir sehen Verpackungen von Pumpen und von Kompressoren. Die Schlauchboote werden allerdings oft völlig überfüllt zu Wasser gelassen – obwohl die Menschen viel Geld für eine angeblich sichere Passage bezahlen müssen.

Wer protestiert, wird von den Schleppern bedroht, wie uns unser Kontakt, ein örtlicher Flüchtlings-Helfer, berichtet. Er hätte etwa gesehen, wie die Ruder der Boote als Knüppel verwendet wurden.

20160417_123641zurückgelassen_MB_web
20160417_115510~01zurückgelassen_MB_web
IMG_4021zurückgelassen_TB_web

Die griechische Insel Lesbos ist rund 15 Kilometer entfernt, ihre Lichter spiegeln sich gut sichtbar im Abendlicht. Doch der Schein trügt: Lesbos ist viel weiter entfernt als von hier aus wirkt. Was aussieht wie die Hafenzeile von Lesbos mit ihren erleuchteten Lokalen ist tatsächlich der Flughafen mit seinen starken Scheinwerfern.

Dazu machen die Windverhältnisse und die Strömungen die Fahrt buchstäblich lebensgefährlich. Allein am Küstenabschnitt zwischen der Türkei und den griechischen Inseln Lesbos, Samos und Chios sind bereits tausende Menschen ertrunken – genaue Zahlen werden wir wohl niemals erfahren.

IMG_3853zurückgelassen_tb_web
Schließlich kommen wir am Wasser an. Beim ersten Mal, als wir die Bucht am Abend besuchen, ist das Wasser noch klar. Doch am nächsten Morgen, als wir wiederkommen, treibt überall in der Bucht Kleidung im Wasser. Es scheint, als hätte die Strömung diese Kleidung angespült.
IMG_3975zurückgelassen_tb_web
IMG_3990zurückgelassen_tb_web
IMG_3994zurückgelassen_tb_web
IMG_3972zurückgelassen_tb_web

Ob die Kleidung bereits vor der Abfahrt zurückgelassen wurde oder ob es ein verzweifelter Versuch war, das Boot leichter zu machen? Was aus diesen Menschen wurde? Ob sie die Überfahrt auf dem Boot überlebt haben?

Wir wissen es nicht. Wir können nur für sie hoffen.

Bericht für FM4: Kleidung treibt in der Bucht von Dikili

Video: Kleidung treibt in der Bucht von Dikili

_____________________

Ich hätte eine Bitte an Dich!

Die Artikel auf dieser Seite sind ohne Paywall für alle Menschen frei lesbar – und es wird hier auch niemals eine Paywall geben. Alle Menschen sollen die Inhalte auf dieser Seite lesen können, egal, wieviel Geld sie haben. Damit das möglich bleibt, brauche ich Deine Hilfe!

Wenn Du meine Projekte gut findest, wenn Dir diese Arbeit etwas wert ist – dann bitte ich Dich um Deine Unterstützung! Besonders freue ich mich, wenn Du meine Arbeit monatlich unterstützen möchtest. Nur so kann ich planen und diese Arbeit professionell fortsetzen!

Schon ab 5 Euro im Monat kannst Du einen wichtigen Beitrag leisten – Damit noch mehr Menschen Journalismus mit Meinung und Haltung lesen können.

• Spendenkonto – monatlich/einmalig:

IBAN: AT64 1420 0200 1026 2551
BIC: EASYATW1
Easy Bank, 1100 Wien
Kontoinhaber: Michael Bonvalot

• Kreditkarte und Paypal – monatlich/einmalig:


• Steady – monatlich: Klick hier für Steady!

• Patreon – monatlich: Klick hier für Patreon!

Vielen Dank für Deine Unterstützung!

Hast Du diesen Artikel lesenwert gefunden? Dann schick ihn jetzt weiter!
Fatal error: Uncaught ArgumentCountError: 3 arguments are required, 2 given in /home/.sites/142/site7221760/web/bonvalot.at/wp-content/themes/mh-newsdesk-lite/comments.php:39 Stack trace: #0 /home/.sites/142/site7221760/web/bonvalot.at/wp-content/themes/mh-newsdesk-lite/comments.php(39): sprintf('