Wie die Polizei am Praterstern Menschen zusammentreibt

Bild: Michael Bonvalot

Samstag abend am Wiener Praterstern. Die Polizei beginnt auf einmal, alle migrantisch aussehenden Menschen zusammenzutreiben. Ein Augenzeugenbericht.

„Sie! Gehen Sie rein da!“. Die nächste Person am Wiener Praterstern wurde gerade von der Polizei in eine Nische bei den Toiletten gedrängt. Es ist Samstag gegen 21 Uhr, viele Leute sind noch unterwegs. Ich bin gerade unterwegs, um Bekannte zu besuchen. Bereits beim Aufgang aus der U2 kommen mir vier PolizistInnen in schnellem Schritt entgegen. Dann in der Eingangshalle ein beklemmendes Bild.

Eine große Gruppe von BeamtInnen treibt offenbar Menschen zusammen, die nicht „weiß“ aussehen. Der Großteil der PassantInnen geht unbehelligt an den PolizistInnen vorbei, doch vor allem junge Menschen, die offensichtlich „migrantisch“ wirken, werden eine/r nach dem/r anderen angehalten und in den schmalen Durchgang zum wenig benützten Ausgang Richtung Lasallestraße gedrängt.

Betroffen sind meist junge Burschen, doch ich sehe auch einzelne Frauen und ältere Menschen. Dazu kommen vereinzelt Personen, die scheinbar nicht dem Idealbild der Polizei entsprechen, da sie etwas „deklassiert“ wirken, eventuell Alkoholprobleme haben. Marginalisierte Menschen wäre wohl der passende Begriff.

Die Zielgruppe ist klar

Als ich stehenbleibe, um zu dokumentieren, wollen PolizistInnen sofort, dass ich mich entferne. Auffallend, dass niemand meinen Ausweis sehen möchte – die Zielgruppe dieses Einsatzes steht fest, ich gehöre nicht dazu. (Wobei eine anlasslose Ausweiskontrolle ohnehin nicht legal wäre.) Erst mit Presseausweis kann ich mein Recht durchsetzen, aus ausreichender Entfernung den Einsatz zu beobachten und mit Bildern zu dokumentieren – ein Recht, das eigentlich jeder Person zusteht, wobei die Bilder in bestimmten Fällen verfremdet werden müssen.

Die betroffenen Personen werden dann aus dem Ausgang Lasallestraße in die Kälte gebracht, insgesamt sind es wohl gut 50 Menschen, die da stehen. Hier ist es menschenleer, ein idealer Ort für eine Massenanhaltung. Die Menschen sind von starken Polizeikräften umringt, davor sind sogar BeamtInnen mit Hunden aufgezogen. Ich beobachte, wie ein Betroffener am Arm gepackt und aus dem Polizeibereich gedrängt wird, nachdem er offenbar kontrolliert wurde. Ich kann keinen Anlass für das grobe Vorgehen erkennen.

ZeugInnen stören

Wieder möchte die Polizei offenbar ungestört sein. Ich solle mich entfernen und aufhören, zu fotografieren. Auf meinen Hinweis, dass die Dokumentation und meine Anwesenheit legal seien, wird der Einsatzleiter geholt, ein älterer Offizier der Bereitschaftseinheit (BE), die diesen Einsatz offenbar durchführt.

Die BE fiel bereits in den vergangen Jahren immer wieder auf, sie wird oft genannt, wenn von Übergriffen durch die Polizei berichtet wird. Die Einheit besteht seit 2012, sehr junge PolizistInnen werden hier in größeren Gruppen an „Hotspots“ eingesetzt. Statt dem gesamten Umfang der Polizeiarbeit stehen hier „robuste Einsätze“ im Vordergrund. Die jungen BeamtInnen werden entsprechend sozialisiert und sind bereit zum schnelleren Einsatz von Gewalt – eine Umstrukturierung, die die Polizeieinsätze der Bundeshauptstadt nachhaltig verändern könnte.

Vor Gericht: Warum ich mich gegen Polizei-Schikane bei Rechtsextremismus-Recherche wehre

Auf meine Frage für die rechtliche Grundlage dieses Vorgehens erklärt der BE-Offizier: „Grundlage ist der Paragraph 35 des Sicherheitspolizeigesetzes. Ich mache die Gesetze nicht, ich vollziehe sie.“ Tatsächlich sind in diesem Gesetz die Gründe für Identitätsfeststellungen geregelt – denn entgegen weit verbreiteter Meinung gibt es in Österreich keine generelle Ausweispflicht.

Laut dem Paragraph 35 im Sicherheitspolizeigesetz kann die Polizei den Ausweis einer Person unter anderem kontrollieren, „wenn der dringende Verdacht besteht, daß sich an seinem Aufenthaltsort (…) mit beträchtlicher Strafe bedrohte Handlungen ereignen“ oder „wenn der dringende Verdacht besteht, daß sich an seinem Aufenthaltsort Fremde befinden, die nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sind.“

„Racial profiling“

Sogenanntes „Racial profiling“, also das Herausgreifen von „migrantisch“ aussehenden Personen wird dadurch begünstigt. Eine weitere Handhabe bietet das Fremdengesetz, in den Paragrafen 15 und 34 ist die Identitätsfeststellung einer Person unter anderem erlaubt, wenn „auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie wäre als Fremder rechtswidrig in das Bundesgebiet eingereist oder hielte sich im Bundesgebiet rechtswidrig auf.“

Interessant aber wäre natürlich, welchen „dringenden Verdacht“ die Polizei hatte beziehungsweise welche „bestimmten Tatsachen“ in Betracht gezogen wurden. Eine diesbezügliche Anfrage zur Rechtsgrundlage, die ich am Samstag um 21.11 Uhr gestellt habe, blieb bis Erscheinen des Artikels am Sonntag abend unbeantwortet.

(Update 27.11. nach dem Hinweis einer Leserin: eine weitere Handhabe für die Polizei bieten auch die Änderungen zum Fremdengesetz, die seit 1. November in Kraft sind. SPÖ und ÖVP hatten im Frühjahr neben anderen Verschlechterungen unter anderem die sogenannte Residenzpflicht beschlossen. Das bedeutet, dass AsylwerberInnen nun verpflichtet in einem bestimmten Bundesland leben müssen. Einsätze wie am Praterstern könnten also damit gerechtfertigt werden, dass Menschen, die lieber in Wien leben wollen, wieder „eingefangen“ werden.)

Am Praterstern treibt die Polizei inzwischen weitere Betroffene zusammen. Beim Ausgang Richtung Riesenrad umringen mehrere PolizistInnen zwei junge Burschen. Einer will sofort den Ausweis zeigen, die PolizistInnen nehmen die beiden dennoch mit, um sie zu den anderen Betroffenen zu bringen.

Auf Twitter gehen inzwischen auch andere Berichte ein, die von Betroffenen dieser Polizeiaktion stammen sollen. So schreibt eine Frau: „Bekannter ist mir einer Frau mit Kopftuch aus der sbahn gekommen, plötzlich polizei die sagt: ‚mitkommen‘. Zu der Frau mit Kopftuch die sich dann zu Männern an eine Wand oder so stellen musste.“

Laut einer anderen Augenzeugin waren noch bis 2 Uhr früh starke Polizeieinheiten am Praterstern konzentriert.

Betroffene, die den „Kessel“ verlassen konnten, erzählen: „Wir werden am Praterstern eigentlich fast dauernd kontrolliert und vertrieben“. Warum sie dann dennoch hierherkommen? „Es ist ein beliebter Treffpunkt, hier wissen wir, dass wir unsere Freunde sehen.“

Regelmäßige Vertreibungen

Auch der Menschenrechtler Philipp Sonderegger beschreibt in einem Artikel das Auftreten der Polizei am Praterstern. Er berichtet, wie die Polizei in der Eingangshalle junge Menschen vertreibt. Auch er selbst sollte laut seiner Darstellung vertrieben werden: „Ein Polizist nähert sich dem Beobachter und gibt die Anweisung ‚Gehn’s weiter‘. Auf die Frage, ob es sich um eine rechtswirksame Wegweisung handle, dreht er wortlos um und widmet sich wieder wehrloseren Personen.“

Inwiefern das Vorgehen der Polizei am Samstag abend rechtlich gedeckt war, müssen Gerichte entscheiden. Doch wir können die Frage stellen, ob wir eine Gesellschaft wollen, wo PolizistInnen mit Hunden Menschen zusammentreiben, nur weil sie offenbar „falsch“ und nicht weiß genug aussehen.

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