Wie Kurz die Grünen am Nasenring führt

Bild: Michael Bonvalot

Jüngste Aussagen von ÖVP-Chef Kurz haben es in sich: Offenbar will die ÖVP mit den Grünen genau das gleiche Programm umsetzen wie unter Schwarz-Blau.

In den Sonntags-Ausgaben von Krone und Kurier hat ÖVP-Chef Sebastian Kurz exklusive Wortspenden zur Regierungsbildung und zum Stand der Verhandlungen von sich gegeben.

Die Aussagen und Forderungen von Kurz im Detail:

Die Kürzung der Mindestsicherung für die Ärmsten der Gesellschaft dürfe nicht zurückgenommen werden. Hier darf aber natürlich nicht vergessen werden, dass auch die Grünen in den Bundesländern bereits an der Kürzung der Mindestsicherung beteiligt waren. Das betrifft etwa Tirol, wo die Grünen in einer Koalition mit der ÖVP sitzen.

Mindestsicherung: „Es soll sich niemand mehr schämen“

Bei der Frage der Abschottung gegen geflüchtete Menschen bleibt Kurz ebenfalls auf Schwarz-Blau-Kurs. Er möchte „weiterhin eine konsequente Linie im Kampf gegen die illegale Migration“. Dafür sei er schließlich gewählt worden. Als Ablenkung für fortschrittliche grüne WählerInnen könnte es einige kleine Verbesserungen geben.

Öffentlich hochgespielt wurde etwa das Thema der Lehre für Asylbewerberinnen.Diese dürfen nun nicht mehr während der Lehre abgeschoben werden. Was aber öffentlich untergeht: diese Forderung wird auch von vielen Unternehmen erhoben, die ihre Lehrlinge – in vielen Fällen billige Arbeitskräfte – nicht verlieren wollen. Und sobald die Lehre fertig ist, können die Betroffenen auch künftig abgeschoben werden.

Der Friedhof der namenlosen Flüchtlinge

Im Klimabereich möchte die ÖVP laut Kurz den Grünen etwas entgegenkommen. Das könnten etwa billigere öffentliche Verkehrsmittel sein. Es sei ihm „wichtig“, dass sich Anliegen der Grünen im Koalitionsabkommen finden. Klar sollte aber sein, dass eine Klimawende nur möglich ist, wenn das gegenwärtige Wirtschaftssystem radikal verändert wird. Das wird mit der ÖVP nicht zu machen sein.

Die ÖVP pocht auf ein Nulldefizit, was wichtige Ausgaben, etwa im Klimaschutz, massiv erschwert bis unmöglich macht.

Der Wirtschaftsstandort Österreich müsse gestärkt werden. Im Klartext würde das die Fortsetzung der schwarz-blauen Kurses im Wirtschafts- und Arbeitsbereich bedeuten. Stichworte: 12-Stunden-Tag, weniger Rechte für das Arbeitsinspektorat, weniger Umweltverträglichkeitsprüfungen.

Warum ein Rechtsruck der SPÖ gegen Schwarz-Blau sinnlos ist

Die ÖVP will keinerlei Vermögens-oder Erbschaftssteuern akzeptieren.

Eine kommende Steuerreform solle die Grundzüge der von ÖVP und FPÖ geplanten Steuerrreform beibehalten. Das würde unter anderem bedeuten, dass Unternehmen künftig deutlich weniger Körperschaftsteuer bezahlen. Diese Steuern fehlen natürlich wiederum im Budget, was Kürzungen in anderen Bereichen bedeutet.

Alles weiter wie bisher

Zusammengefasst: Die ÖVP möchte in den zentralen Kernbereichen Wirtschaft, Soziales und Migration ihre bisherige Linie beibehalten. Das bedeutet Geschenke für die Wirtschaft, Angriffe auf soziale Rechte und Abschottung gegen Geflüchtete. Gleichzeitig soll offenbar möglichst wenig bis nichts von dem zurückgenommen werden, was unter Schwarz-Blau durchgedrückt wurde.

Mindestsicherung: „Es soll sich niemand mehr schämen“

Dafür sollen die Grünen einige Klimaschutz-Maßnahmen bekommen, die aber offenbar die Profite für UnternehmerInnen nicht in Frage stellen sollen. Die ÖVP will offenbar eine schwarze Alleinregierung, geschmückt mit ein paar grünen MinisterInnen.

Bereitet sich die ÖVP auf den Absprung vor?

Gleichzeitig werden im Kurier isolierte Positionen der Grünen veröffentlicht, offensichtlich um diese ins Lächerliche zu ziehen. Dass der Spin aus der ÖVP-Zentrale kommt, ist eindeutig. Parallel wird zeitlicher Druck gemacht: In der Krone erklärt Kurz, dass er die Regierungsverhandlungen bis Anfang Jänner abschließen möchte.

Unklar ist, welches Ziel die ÖVP tatsächlich verfolgt und was im Jänner passiert. Derzeit scheinen drei Szenarien denkbar Entweder bereitet die ÖVP bereits den Absprung von den Koalitionsverhandlungen vor. Oder es kommt eine Minderheitsregierung, gestützt auf die FPÖ.

Das blaue Netzwerk: Straches Erben

Die letzte – äußerst unrealistische – Möglichkeit: Die Grünen schaffen es über Weihnachten, die ÖVP in wesentlichen Politik-Bereichen von einer völlig anderen Linie zu überzeugen, als diese bisher vertreten hat.

Minderheitsregierung, gestützt auf die FPÖ?

Eine offizielle Koalition mit der FPÖ scheint derzeit kaum denkbar. Das gilt nicht zuletzt, weil die Blauen aktuell völlig instabil sind und niemand weiß, wer noch mit Strache und seiner Abspaltung geht. Doch die FPÖ könnte eine schwarze Minderheitsregierung tolerieren und dafür einige Goodies bekommen.

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Beispielsweise könnte der aktuelle Verkehrsminister Andreas Reichhardt weiter in seinem Amt bleiben und so den Einfluss der FPÖ in diesem wichtigen Ministerium garantieren. Reichhardt ist ehemaliger Wehrsportler und Mitglied der deutschnationalen Wiener Studentenverbindung „Grenzlandsmannschaft Cimbria“.

Schwache Grüne in einer ÖVP-Regierung

Die zweite Möglichkeit: Die Grünen stimmen den Forderungen der ÖVP in weiten Bereichen zu. Die Grünen würden dafür einige zweitrangige Positionen durchsetzen können. Das Boulevard-Blatt Österreich – das derzeit immer wieder aus der ÖVP mit Informationen gefüttert wird – behauptet, dass die Grünen folgende Ministerien bekommen sollen:

  • Vizekanzleramt mit Sport und öffentlichem Dienst
  • Umweltministerium mit Verkehr und Infrastruktur
  • Arbeits-, Sozial- und Gesundheitsministerium
  • Familien-, Frauen- und Jugendministerium

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Die ÖVP dagegen erhält die Finanzen, die Wirtschaft, das Innenministerium und das Verteidigungsministerium. Dazu möchte die Kurz-Partei laut Österreich die Bildung, die Justiz und das Außenministerium. Solche Wasserstandsmeldungen sind aber natürlich mit Vorsicht zu genießen.

Oder schaffen die Grünen noch die Wende?

Dass die ÖVP irgendein Interesse hat, substantielle Zugeständnisse an die Grünen zu machen, ist derzeit an keiner Front zu bemerken. Gerade in der Frage der Abschottung gegen Geflüchtete wäre das auch deshalb kaum plausibel, weil die ÖVP mit ihrem eindeutigen Rechts-Kurs zahlreiche WählerInnen von der FPÖ gewonnen hat – und diese auch wieder verlieren könnte.

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Kurz war unter Schwarz-Blau der Strache 2.0. Wenn er diese Linie verlässt, könnte diese WählerInnen zur FPÖ oder zu Strache 1.0 zurückwandern. Zugeständnisse und Erleichterungen im Sozialbereich würden zwar von Teilen der FPÖ-WählerInnenschaft vermutlich begrüßt werden. Doch hier hat die UnternehmerInnen-Partei ÖVP wohl wenig Interesse.

Sollte die ÖVP ihre schwarzen Linien durchsetzen können, müssten die Grünen damit also sogar bei der Umwelt, im Sozialbereich und bei der Migration Positionen umsetzen, die sie bisher vehement bekämpft haben. Es wird spannend, wie die Grünen das ihren Wählerinnen und Wählern erklären.

Update 20.39h: Am Sonntagabend hat sich Grünen-Chef Werner Kogler via Standard zu Wort gemeldet und einige der Forderungen der ÖVP in Frage gestellt, etwa jene nach einem Nulldefizit.

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