Europas unbekanntes Militärbündnis

Bild: Cha già José, Lizenz: Creative Commons 2.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

[FM4] Die EU hat mit PESCO ein Militärbündnis geschaffen – und keiner kennt es.

[Erstveröffentlichung: FM4] Der Präsident der EU-Kommission ist begeistert. „Die schlafende Schönheit ist erwacht“, twittert Jean-Claude Juncker am 11. Dezember 2017. Was Juncker dabei dermaßen in Verzückung versetzt, würden viele andere nicht unbedingt mit dem Begriff „Schönheit“ umschreiben. Denn der Kommissionspräsident gibt damit die Gründung von PESCO bekannt, dem neuen Militärbündnis der EU.

Österreich ist Teil dieses Militärbündnisses und damit fester Bestandteil der künftigen militärischen Prozesse der EU. Unmittelbar nach seiner Gründung Mitte Dezember 2017 war PESCO, englisch für Permanent Structured Cooperation (Ständige Strukturierte Zusammenarbeit), kurz Thema in den meisten Medien. Doch dann verschwand das Militärbündnis wieder aus den Augen der Öffentlichkeit.

Unbekannter Meilenstein

Tatsächlich aber ist die Gründung von PESCO ein Meilenstein in der Geschichte der EU. Wahrscheinlich ist es in seinen Auswirkungen vergleichbar mit dem Euro als gemeinsamer Währung oder dem Schengener Abkommen. Denn mit PESCO schafft die EU eine sogenannte „Verteidigungsunion“, die über kurz oder lang sogar den Platz der NATO einnehmen könnte.

Dass hier eine EU-Armee geschaffen werden soll, daran gibt es keine Zweifel. Vor allem Deutschland und Frankreich haben die PESCO-Gründung intensiv vorangetrieben. Und anlässlich der Gründung sagte Deutschland Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ganz offen: „Wir gründen heute die europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion“, die EU gehe „einen weiteren Schritt in Richtung der Armee der Europäer“.

Umfangreiche Verpflichtungen

Die Mitgliedstaaten des neuen Bündnisses, darunter auch Österreich, gehen mit PESCO langfristige und weitgehende Verpflichtungen ein. So verpflichten sich die Mitglieder laut Gründungsakte unter anderem zu folgenden Maßnahmen:

  • Die laufende Anhebung des Militär-Budgets
  • Die Verpflichtung zur Aufrüstung
  • Substantielle Beiträge zu den Battlegroups der EU, somit unter anderem die Beteiligung von SoldatInnen an den EU-Schlachtgruppen.
  • Substantielle Unterstützung künftiger Auslandsoperationen der EU, etwa durch Truppen, Material, Training oder Infrastruktur. Beispielhaft genannt werden die EUFOR-Truppen, die unter anderem im Kongo, im Tschad, in der Zentralafrikanischen Republik oder in Somalia zum Einsatz kamen bzw. kommen.
  • Die Teilnahme an mindestens einem (Rüstungs-)Projekt, das strategische Fähigkeiten der EU entwickelt oder zur Verfügung stellt.
  • Die Sicherstellung, dass Rüstungsprojekte die Konkurrenzfähigkeit der europäischen Rüstungsindustrie am Weltmarkt verbessern
  • Den Ausbau von gemeinsamen Rüstungsprojekten und eine intensive Beteiligung an einem künftigen gemeinsamen Fonds für EU-Militärausgaben

Die Mitgliedsstaaten müssen künftig über die Möglichkeit verfügen, für militärische Einsätze der EU „im Bedarfsfall bewaffnete Einheiten sowie logistische Unterstützung innerhalb von 5 bis 30 Tagen für eine Dauer von 30 bis 120 Tagen bereitzustellen”.

Rüstungsprojekte

Daneben soll kräftig ausgerüstet werden. Insgesamt sollen im Rahmen von PESCO mehrere Dutzend (Rüstungs-)Projekte durchgeführt werden. Die ersten 17 wurden bereits veröffentlicht. Unter anderem erwähnt werden dabei eine eigene „EuroArtillerie“ sowie Planungen für gepanzerte Fahrzeuge. Ebenfalls in Planung ist nach einem Bericht des EU-nahen Think Tanks Egmont Institut ein eigenes „Eurodrohnen“-Programm.

Die Folgen des PESCO-Beitritts sind weitreichend

Die aktuell geplanten umfangreichen Projekte und Ziele gelten dabei nur als erste Stufe. Laut EU sollen sie bereits bis spätestens 2025 umgesetzt werden. Danach sollen wieder „neue Vereinbarungen“ getroffen werden, um nochmals eine „neue Stufe“ in Hinblick auf „eine gemeinsame Verteidigung“ der EU zu erreichen.

Enorme Kosten

All das bedeutet nicht nur die Vorbereitung auf Kriege, es würde auch enorme Kosten verursachen. Im Gründungsvertrag von PESCO schreiben sich die Mitgliedstaaten explizit die „regelmäßige Anhebung des Verteidigungsbudgets in realen Zahlen“ vor. Um wieviel die Militärausgaben im Rahmen von PESCO erhöht werden müssen, wird im Gründungsdokument nicht beziffert.

Doch aus Brüssel wird immer wieder die Zahl von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts genannt. Das entspräche auch den Zielvorgaben der NATO. Für Österreich würde das mehr als die Verdreifachung (!) des aktuellen Militärbudgets von rund 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bedeuten.

Humanitäre Einsätze?

Ebenfalls vorgesehen ist die Beteiligung der Mitgliedstaaten an Auslandseinsätzen, insbesondere an den sogenannten Battlegroups („Schlachtgruppen“) der EU. Das sind schnelle und mobile Euro-Einsatztruppen, die binnen weniger Tage ins Ausland verlegt werden können. Österreich beteiligt sich bereits seit 2010 an diesen Schlachtgruppen, doch nunmehr wird die Beteiligung verpflichtend.

In öffentlichen Statements geht es bei künftigen Einsätzen von EU-Truppen oftmals um humanitäre Ziele. So spricht etwa das österreichische Bundesheer in seiner Beschreibung der EU-Schlachtgruppen von „humanitären Hilfeleistungen“.

Klassischer Imperialismus

Doch tatsächlich bereitet sich die EU sehr intensiv auf Kriege um Einfluss und Rohstoffe vor. PESCO wird dabei ein wichtiges Instrument sein. Ein Blick in die Strategie-Papiere der EU zeigt hier ein eindeutiges Bild: Es ist geprägt von wirtschaftlichen Interessen, klassischem Imperialismus und der globalen Durchsetzung militärischer Macht.

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein Blick in die 2016 veröffentlichte „EU Global Strategy“. In diesem Papier erklären die Staaten der EU auf 60 Seiten ihre künftige politische und militärische Strategie.

2019 gab es einen Rekord bei den globalen Rüstungsausgaben

Bereits im Vorwort schreibt die sozialdemokratische EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini: „Die Idee, dass Europa eine exklusiv ‚zivile Macht‘ wäre, wird einer sich verändernden Wirklichkeit nicht gerecht. (…) Für Europa gehen die weiche und die harte Macht Hand in Hand.“ Im Papier heißt es dann, dass das Ziel der EU die Sicherstellung „offener und geschützter Ozean- und Meeresrouten“ wäre, „die zentral sind für den Handel und den Zugang zu natürlichen Ressourcen“.

Für Öl und Rohstoffe

Schließlich, so die Global Strategy, hätte die EU ein Interesse in der „Aufrechterhaltung des Zugangs zu weltweiten Gütern durch offene See-, Land-, Luft- und Weltraum-Routen“. Auch der möglichst freie Zugang der EU-Wirtschaft zu Rohstoffen und Energie (also insbesondere Erdöl) ist in diesem und anderen Strategiepapieren ein zentrales Thema. Um das sicherzustellen, könne die EU künftig mit Marine-Einheiten bis zum „Golf von Guinea, dem Südchinesischen Meer und der Straße von Malakka [in Malaysia]“ aktiv werden, heißt es im Papier.

Ähnliche Töne werden im Report “Die Zukunft ermöglichen. Europäische Militärkapazitäten 2013-2025“ angeschlagen. Diese Studie hat die EU-Agentur „Institut für Sicherheitsstudien“ (ISS) im Jahr 2013 veröffentlicht.

In dieser EU-Studie werden „Zonen des privilegierten Interesses der EU“ definiert. Es seien dies die „östlichen und südlichen Nachbarschaften, die ‚Nachbarn der Nachbarn‘ (von Mali bis Somalia, vom Golf bis Zentralasien) und kritische Seewege im ‚Indo-Pazifik‘ (von Suez bis Shanghai) und im ‚weiteren Norden‘ (rund um die und die Arktis).“ Es wird also ein riesiges Gebiet beschrieben, das weit über die Grenzen der EU hinausgeht.

Ein „Großraum“ für die EU

In diesen Zonen, aber zusätzlich auch noch „in den angrenzenden Zonen, vom subsaharischen Afrika über Zentralasien bis zum Indo-Pazifik“ solle die EU „ihre bewaffneten Kräfte sogar permanent ausdehnen“, heißt es in der Studie der EU. Im Klartext bedeutet das den Wunsch nach Stationierung von EU-Truppen auf großen Teilen des Globus. Manche Regionen werden dabei bereits kurzerhand der EU zugeschlagen. So wird etwa die militärische Sicherung des ägyptischen Suez-Kanals als „Verteidigungsmission“ bezeichnet.

In einem Report des bereits erwähnten EU-nahen Think Tanks Egmont Institut wird sogar ein neuer „Großraum“ der EU definiert. Dieser Großraum soll die „die östliche Nachbarschaft und West-Russland, den Kaukasus und den Großteil Zentralasiens, die arktische Region, die nördliche Hälfte Afrikas, den gesamten Nahen Osten sowie den indischen Ozean und Südostasien“ umfassen.

Screenshot aus dem Dokument "A New Geography Of European Power?" des Egmont Instituts

Screenshot aus dem Dokument „A New Geography Of European Power?“ des Egmont Instituts

„Ehrfurcht verbreiten“

„Dieser Großraum umfasst die meisten der Ressourcen, die die europäische Wirtschaft braucht“, stellt der Egmont-Report fest. Dort solle „eine neue Geographie der europäischen Macht verankert“ werden. Gegenüber anderen Regierungen solle „Ehrfurcht verbreitet“ werden, so dass diese „respektvoller gegenüber europäischen Präferenzen“ würden.

In Anbetracht der geographischen und politischen Dimension dieses Raums – der sogar Teile Russlands umfasst – wäre das wohl kaum ohne militärische Auseinandersetzungen möglich. Immer wieder findet sich dabei in strategischen Berichten auch ein positiver Bezug auf die Nuklearwaffen der EU.

So heißt es in der Studie „Die Zukunft ermöglichen“ der EU-Agentur ISS: „Die Europäische Union (…) umfasst zwei Nuklearmächte, hoch effektive konventionelle mittelgroße Mächte und einige kleinere Staaten mit substantiellen eigenen militärischen Fähigkeiten. Somit hat die Union die Kapazität, ein führender militärischer Player auf Weltebene zu sein“.

Selbstverständlich Nuklearwaffen

Hin und wieder gibt es auch in einer breiteren Öffentlichkeit Aussagen zum Einsatz von Atomwaffen. So erklärte etwa 2006 der damalige französische Präsident Jaques Chirac, dass „die Garantie unserer strategischen Versorgung und die Verteidigung verbündeter Staaten“ den Einsatz von Nuklear-Waffen rechtfertigen würde.

In jüngerer Zeit machte sich etwa Österreichs frischgebackener Vizekanzler Heinz-Christian Strache für Atomwaffen stark. Im Februar 2017 erklärte er zu den Atomwaffenarsenalen der EU: „Selbstverständlich ist das auch ein Teil ein Teil der europäischen Verteidigungspolitik“.

Warum kommt PESCO jetzt?

Im Rahmen der PESCO-Gründung wurde wiederholt erwähnt, dass die Wahl von US-Präsident Donald Trump ein wesentlicher Faktor für die Etablierung des EU-Militärbündnisses gewesen sei. Doch tatsächlich laufen die Vorbereitungen für ein solches Bündnis bereits viel länger: Bereits 1992 wurden mit den sogenannten „Petersberg-Aufgaben“ die Grundlagen für gemeinsame Militäreinsätze geschaffen.

Das Bundesheer übt Einsätze gegen Demos und Streiks

Langfristig zeichnen sich schlichtweg neue globale Verteilungskämpfe ab. Und die EU bereitet sich dabei auf Kriegseinsätze und die Projektion militärischer Macht vor. Vor allem Konflikte mit China und den USA sind vorprogrammiert. Konfliktpotenzial um Einfluss und Märkte gibt es aber auch mit Russland, der Türkei oder Indien.

Der afrikanische Weltkrieg

EU und USA geraten hier immer öfter aneinander. So betrachten etwa beide Machtblöcke die Ölvorräte im Nahen Osten als zentral für die eigene Wirtschaft. Doch auch in anderen Regionen gibt es Konflikte: In Afrika kam es sogar bereits zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem EU-Staat Frankreich und den USA.

In den Kriegen in Zentralafrika ab Anfang der Neunziger Jahre – auch bekannt als „Afrikanischer Weltkrieg“ – kämpften auf der einen Seite Staaten, die von den USA unterstützt wurden, auf der anderen Seite Frankreichs Verbündete. In verminderter Form dauert dieser Konflikt bis heute an. Sollten solche Spannungen zwischen EU und USA zunehmen, wäre auch die NATO obsolet.

Konflikt mit China

Vor allem aber nimmt der Konflikt zwischen EU und China immer weiter an Fahrt auf. So will China mit dem Projekt der „neuen Seidenstraße“ den gesamten asiatischen Raum bis Europa für seine Märkte erschließen. Und auch in Afrika, eigentlich traditionell der Hinterhof des europäischen Kolonialismus, investiert China massiv und ist dort heute bereits der größte Investor.

In Strategie-Papieren der EU wird der Konflikt ganz offen benannt. So wird etwa im bereits erwähnten Report der EU-Agentur ISS folgendes Szenario skizziert: „Der fortgesetzte Aufstieg und die Expansion eines starken und mächtigen Landes in Ostasien zerstört substantiell das regionale Gleichgewicht der Macht.“

Österreich ist mittendrin

Die Antwort der EU laut ISS-Report: Die Entsendung eigener Truppen. Dabei könnten „größere Schiffe und U-Boote“ genauso benötigt werden wie „amphibische Schiffe oder Helikopter-Träger“, die vor Ort stationiert werden könnten, um „Unsicherheiten zu begegnen“. Im Falle eines Machtkampfs im Indo-Pazifik wird sogar die Entsendung einer „großen Marineflotte“ angedacht.

Militärgeheimdienstler warnen vor einem bewaffneten extrem rechten Bundesheer-Netzwerk

Mangels Marine wäre Österreich hier naturgemäß nicht eingebunden. Doch selbstverständlich könnten auch österreichische SoldatInnen im Rahmen der EU-Schlachtgruppen zum Einsatz kommen, etwa als Infanterietruppen. Österreich ist dabei keineswegs ein Opfer, das ungewollt zum Handkuss kommt. Immerhin gilt in der EU das Einstimmigkeitsprinzip und Österreich ist freiwillig dem Militärverband PESCO beigetreten.

Schritt für Schritt

Der eingangs erwähnte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker soll zur Politik der EU Ende der Neunziger Jahre einmal gesagt haben: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert“.

Der nächste Schritt laut Juncker: „Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“

Was der Beitritt zu PESCO konkret für Österreich bedeutet, könnt ihr hier lesen.

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