So leiden flüchtende Menschen in den bosnischen Lagern

Bild: Ben Owen-Browne, SOS Balkanroute

„Die Apokalypse ist nur 220 Kilometer von der Grenze zu Österreich entfernt“, sagt der Rapper Kid Pex. Er unterstützt geflüchtete Menschen in Bosnien. Ein Gespräch über die Corona-Gefahr, grenzenlose Solidarität und die Brutalität der Festung Europa.

Der Wiener Petar Rosandić, weit besser bekannt unter seinem Künstlernamen Kid Pex, ist mit neun Jahren von Zagreb nach Österreich gezogen. Gemeinsam mit FreundInnen hat er SOS Balkanroute gegründet. Die NGO unterstützt tausende geflüchtete Menschen, die in den bosnischen Flüchtlingslagern buchstäblich dahinvegetieren.

Petar, wie ist aktuell die Lage der geflüchteten Menschen in Bosnien?

Sehr viele Menschen müssen derzeit in improvisierten Lagern leben. Das sind meist verlassene Fabriksgebäude, wo dann Zelte aufgestellt werden. In diesen sogenannten wilden Lagern gibt es rein gar nichts: Kein fließendes Wasser, kein Essen, keinen Strom, keine Heizung und keine Möglichkeiten für die Körperhygiene. Die Menschen müssen sich teilweise in Flüssen waschen, wo auch die Kanalisation hineingeht.

Bild: Ben Owen-Browne, SOS Balkanroute

In den offiziellen Lagen ist die Situation zwar ein wenig besser, aber noch lange nicht gut. Auch dort gibt es einen enormen Versorgungsmangel.

Was bedeutet das in der aktuellen Corona-Krise?

Wir wissen aktuell gar nicht, ob es in den wilden Lagern Corona-Ausbrüche gibt, weil die Menschen vom bosnischen Gesundheitssystem nicht erfasst und nicht getestet werden. Sie werden auch in Spitäler nicht aufgenommen, es gibt keinerlei offizielle Versorgung.

Die einzige medizinische Unterstützung kommt von freiwilligen SanitäterInnen und ÄrztInnen. In diesen Lagern herrscht die Apokalypse – und die Apokalypse ist nur 220 Kilometer von der Grenze zu Österreich entfernt.

Kannst Du einen Überblick geben, wo die Lager überhaupt sind?

Der Hotspot ist aktuell in Nordwest-Bosnien, vor allem in Velika Kladuša direkt an der Grenze zu Kroatien. Dort gibt es ein offizielles und ein wildes Lager. Ein weiteres Zentrum ist Bihać, das rund 60 Kilometer von Velika Kladuša entfernt ist.

Dort gibt es ein großes offizielles Lager mit rund 2000 Menschen und ein wildes Lager mit rund 500 Menschen. Leider erleben wir dort auch sehr viel Rassismus. Auf vielen Supermärkten steht etwa die Aufschrift „Migrants not aloud“, also „Migranten verboten“. Doch es gibt auch positive Beispiele.

Bild: Ben Owen-Browne, SOS Balkanroute

So lässt etwa der Besitzer einer großen Tankstelle in Bihać die geflüchteten Menschen Wasser holen, was sehr wichtig ist. Es gibt auch lokale ehrenamtliche Helferinnen, die die geflüchteten Menschen unterstützen. Das könnte jetzt aber deutlich schwerer werden: Die Stadtregierung plant ein neues Lager, rund 26 Kilometer von der Stadt entfernt. Das würde die Versorgung sehr schwierig machen.

Schließlich gibt es auch in Tuzla geflüchtete Menschen, dort wird unsere Hilfe aber weniger gebraucht. Tuzla ist eine traditionell linke und multinationale Stadt, wo es gute solidarische Strukturen gibt.

 

 Wer sind überhaupt die Menschen, die jetzt geflüchtete Menschen unterstützen?

Für uns als SOS Balkanroute ist vor allem die Zusammenarbeit mit der Organisation „Solidarnost“ (Solidarität) sehr wichtig. Die Sprecherin Zemira Gorinjac wird von allen „Mama Zemira“ genannt, sie ist eine sehr charismatische Frau. Wir können mit ihr über vieles sprechen, wir diskutieren über Marx genauso wie über Religion. Insgesamt fällt sehr stark auf, dass vor allem Frauen in der Unterstützung geflüchteter Menschen aktiv sind.

Du hast den Rassismus erwähnt, wie groß ist das Problem?

Bosnien ist sehr komplex und vom Nationalismus zerfressen. Eindeutig ist, dass Corona zu noch mehr Rassismus führt. Das betrifft vor allem den Nordwesten, wo wir arbeiten. Dort gibt es traditionell wenig linke Strukturen. Wir erleben Drohungen, mit der Seite „antimigrant“ gibt es auch eine wahre Hetzmaschine.

Was ist Deine Motivation für Dein Engagement?

Ich war 2013 bei der Votivkirchen-Bewegung in Wien dabei. Damals habe ich auch das Lied „Recht auf Leben“ gemacht.

 

2015 bin ich dann mit Spenden ins ungarische Lager Röszke gefahren (einen Bericht über meine Eindrücke aus Röszke könnt ihr hier lesen). Als wir jetzt gehört haben, wie die Situation in Bosnien ist, sind wir spontan mit einem Kombi voller Spenden runtergefahren. Ich war dann im Lager Vučjak, rund 280 Kilometer von der Grenze zu Österreich entfernt.

Das Lager stand auf einer ehemaligen Mülldeponie, es war unerträglich. Da wussten wir, dass wir was machen müssen. Nach viel Druck und vielen Berichten wurde Vučjak zwar inzwischen geschlossen – aber es hat sich real für die Menschen nichts geändert. Jetzt gibt es viele kleine Vučjaks.

Wie schafft ihr als ehrenamtliche HelferInnen das psychisch? Ich war ja auch selbst in Röszke und habe an der griechischen und türkischen Ägäis-Küste recherchiert. Ich war oft schlicht erschüttert.

Es ist ein Wechselbad der Gefühle, wir kommen immer wieder an unsere eigenen psychischen Limits. Es ist eine enorme Belastung für die HelferInnen – und natürlich vor allem für die geflüchteten Menschen. Unter solchen Krisenbedingungen entwickeln sich klarerweise auch sehr schwierige Situationen.

 

Gleichzeitig ist uns bewusst, wie limitiert die Arbeit ist, die wir überhaupt leisten können. Das Problem ist in Wirklichkeit viel zu groß für uns ehrenamtliche HelferInnen. Dennoch müssen wir weiter arbeiten: Es ist eine kleine Arbeit, aber sie ist wichtig.

Wie versucht ihr zu helfen?

Im Winter haben wir als SOS Balkanroute insgesamt acht Transporte gemacht. Wir haben vor allem Jacken, Schuhe, Winterkleidung und Schlafsäcke gebracht – wobei vor allem Schlafsäcke buchstäblich lebenswichtig sind.

Petar Rosandić (mit Kiste) in Bosnien. Bild: Ben Owen-Browne, SOS Balkanroute

Aktuell sammeln wir Geld, seit Beginn der Corona-Krise haben wir 7000 Euro zusammenbekommen. Das Geld schicken wir dann an Supermärkte in der Region und die Menschen bekommen Coupons für Essen. Klar ist aber: Wir sind als ehrenamtliche Helferinnen bestenfalls Feuerlöscher. Es ist ein System-Problem.

Wo siehst du das System-Problem?

An der bosnisch-kroatischen Grenze wird die Drecksarbeit der Festung Europa erledigt. 7000 GrenzbeamtInnen sind dort im Einsatz – mithilfe der EU-Agentur Frontex und mit Wärmebild-Geräten, die aus Deutschland kommen.

Die EU-Staaten wie Österreich und Deutschland schweigen dazu, dass dort Menschen illegal zurückgeschoben werden, dass ihr Recht auf einen Asylantrag verweigert wird, dass sie brutal zusammengeschlagen werden. Wir haben schlimme Verletzungen gesehen, die Seite Borderviolence.eu dokumentiert viele dieser brutalen Übergriffe.

An der bosnisch-kroatischen Grenze wird die Drecksarbeit der Festung Europa erledigt.

Erst vor wenigen Tagen hatten wir den Fall von zwei Menschen, die furchtbar zusammengeschlagen wurden. Wir arbeiten hier auch mit dem niederösterreichischen Arzt Michael Störck zusammen, der uns unterstützt. Er musste sogar schon einmal vor Ort operieren, nachdem eine Verletzung besonders schlimm war.

Wir müssen uns darüber klar sein: An der bosnisch-kroatischen Grenze wird die unmenschliche Asylpolitik der gesamten Festung Europa sichtbar. Und Länder wie Österreich und Deutschland sind dafür verantwortlich.

Alles Gute, Petar, für Eure wichtige Arbeit!

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