Die Austria unterm Hakenkreuz: Opfer, Täter und Mitläufer

Bild: Michael Bonvalot

[FM4] Die Violetten stellen sich ihrer Geschichte. Probleme mit Neonazis gibt es bis heute.[Erstveröffentlichung: FM4, 23.11.2018] Der FK Austria Wien stellt sich in einem neu erschienen Buch seiner Geschichte im NS-Regime. Es gibt zwei Aspekte, die diese Aufarbeitung der Geschichte der „Veilchen“ besonders machen.

Zum einen galt die Austria traditionell als jüdischer Verein. Vor 1938 hatten viele Funktionäre des Vereins einen jüdischen Hintergrund und wurden nach der Machtübernahme Opfer des NS-Terrors.

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Bis heute wird die Austria insbesondere von Fans des Wiener Erzrivalen Rapid als „Judenverein“ verhöhnt. So beschimpften etwa im Mai 2017 bei einem Nachwuchs-Derby Fans von Rapid die Spieler der Austria als „Judenschweine“. Das wurde damals auch auf Video dokumentiert.

Neonazis beim falschen Verein

Und zum anderen haben absurderweise gerade die Violetten seit einigen Jahren ein veritables Problem mit Neonazis in der Fanszene. Im Zentrum der medialen Öffentlichkeit steht dabei die neonazistische Fangruppe „Unsterblich“ (Ust), die bei der Austria bereits seit 2013 als unerwünscht gilt.

"Unsterblich"-Banner

Bild: Austria 80

Doch die Neonazis in der violetten Fanszene haben längst neue Zusammenschlüsse, die eng mit dem Netzwerk rund um Neonaziführer Gottfried Küssel verwoben sind. Auch der rechtsextreme Parlaments-Security Thomas K.-C., der seit einigen Tagen im Zentrum der öffentlichen Debatte steht, dürfte in diesem Netzwerk zu verorten sein. Mehrere Austria-Fans erzählten mir unabhängig voneinander, dass sie K.-C. von Spielen des Vereins kennen.

Ein jüdisch geprägter Verein

Zur Geschichte und Tradition der Austria passen diese Neonazis allerdings nicht. In der Zwischenkriegszeit war die Austria einer der erfolgreichsten Vereine Europas. Die Violetten gewannen sogar zwei Mal den Mitropa-Cup, den Vorläufer der heutigen Champions League.

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Geprägt wurde die Austria dabei von einer Schicht von Funktionären, die meist jüdischen Hintergrund hatten. Im März 1938, also während des „Anschlusses“ an das NS-Regime, war der gesamte Vorstand jüdisch besetzt.

Die Austria war allerdings nie explizit jüdisch, im Gegensatz etwa zum zionistischen Club Hakoah. In der Kampfmannschaft etwa gab es 1938 keine jüdischen Spieler, sie entsprach damit den „Rasse“-Kriterien der Nazis. Daher wurde die Austria auch nicht aufgelöst wie etwa die Hakoah.

Buchpräsentation: Podiumsdiskussion

Buchpräsentation. Bild: FK Austria Wien

„Säubern“ und integrieren

Bei den Violetten wurde stattdessen der Vorstand ersetzt und der Verein dann in das NS-System integriert. Für das nun erschienene Buch „Ein Fußballverein aus Wien. Der FK Austria im Nationalsozialismus 1938–1945“ haben der Sportjournalist Johann Skocek sowie die Wissenschafter Bernhard Hachleitner, Matthias Marschik und Rudolf Müllner diese Entwicklungen genauestens recherchiert.

Und die Profiteure waren schnell. Bereits am 14. März 1938, also zwei Tage nach dem „Anschluss“, riefen Funktionäre der austrofaschistisch-christlichen „Turn- und Sportfront“ bei der Polizei an. „Sie behaupteten, dass Funktionäre der Austria Geld zur Seite schaffen würden“, erzählt Co-Autor Hachleitner. Die Polizei versiegelte daraufhin die Vereinsräumlichkeiten der Austria, die Schlüssel bekamen die Austrofaschisten der Turn- und Sportfront.

Plakat mit Auflistung und Erklärung rechter Symbolik

Bild: FK Austria Wien Originalgröße (1,2 MB)

Kriegsverbrecher als Präsident

Im Oktober 1938 wurde mit Ernst Kaltenbrunner sogar der SS-Führer für Ostösterreich zum Ehrenpräsidenten des Vereins gemacht. Kaltenbrunner stieg später zum Chef der Sicherheitspolizei für das gesamte NS-Reich auf.

Das Nazi-Problem der Wiener Austria

Nach 1945 wurde der Burschenschafter als einer der Hauptkriegsverbrecher des NS-Regimes hingerichtet. Für Fußball und die Austria dürfte sich Kaltenbrunner allerdings nie interessiert haben – die Präsidentschaft war ein reiner Propagandaakt.

Vertrieben und ermordet

Die bisherigen Vorstandsmitglieder der Violetten wurden von den Nazis abgesetzt und verfolgt. Auch Emanuel „Michl“ Schwarz, Präsident seit den frühen 1930er Jahren, musste flüchten. Er überlebte den NS-Terror und wurde nach 1945 erneut Präsident. Andere Funktionäre hingegen überlebten den NS-Terror nicht.

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So wurde der Austria-Manager Robert Lang in einem Nazi-Lager im Raum Belgrad getötet. Schriftführer Heinrich Bauer ging an den elenden Bedingungen im Ghetto Litzmannstadt zugrunde, wohin die Nazis ihn deportiert hatten. Der spätere legendäre Austria-Sekretär Norbert Lopper wurde nach Auschwitz deportiert.

Opfer und Täter

Lopper überlebte diese Hölle, doch seine Frau Rebecca wurde in Auschwitz von den Nazis ermordet. Sportjournalist Skocek nennt ihn in einem früheren Buch den „Mister Austria“.

Lesetipp: Ausführliches Interview mit Norbert Lopper

Für das nun erschienene Buch wurden all diese Biographen genau beleuchtet. „Insgesamt haben wir 150 Biografien recherchiert“, erzählt Co-Autor Müllner. Und es sind nicht nur Opfer-Biographien, die das Autorenteam gefunden hat. Der legendäre Matthias Sindelar etwa, zu seiner Zeit einer der besten Spieler Europas, wird immer wieder als Gegner des NS-Regimes bezeichnet.

Sindelar: Keine Belege für Widerstand

Sindelars rätselhafter Tod durch eine Kohlenmonoxid-Vergiftung im Jänner 1939 wird oft als Selbstmord und Protest gegen die Nazis interpretiert. Doch widerständische Aktionen von Sindelar konnten die Autoren des Buches nicht finden. Ebenso nicht belegt werden konnte, dass Sindelar aus ideologischen Gründen nicht für die deutsche Nationalmannschaft spielen wollte.

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Sindelar bekam nach dem März 1938 sogar ein gestohlenes, also „arisiertes“, Kaffeehaus. Mit solchen Betrieben und mit Jobs bei der Gemeinde versorgten die Nazis wichtige Spieler von Austria, Rapid oder der Admira, wie Co-Autor Hachleitner bei der Präsentation des Buches im Stadion der Austria erzählt. Offiziell hatten die Nazis das angeblich „jüdische“ Profitum im Fußball abgeschafft, so wurde das umgangen. „Parallel dazu gab es Schwarzgeld“, so Hachleitner.

Am Umgang mit Idol Sindelar wolle die Austria mit diesen neuen Erkenntnissen nichts ändern, erklärt Austria-AG-Vorstand Markus Kraetschmer auf meine Frage: „Er war ein begnadeter Fußballer, doch wir haben ihn nie glorifiziert.“ Allerdings ist die Süd-Tribüne des Stadions der Austria weiter nach Sindelar benannt.

Im Dienst der Nazis

Viele Spieler und (neue) Funktionäre der Austria stellten sich ganz offen in den Dienst des Regimes. Auch Mitglieder der NSDAP gab es im Verein, insgesamt waren es 14. Zwei Spieler und zwölf Funktionäre. Nach 1945 kamen noch drei weitere Funktionäre dazu, die NSDAP-Mitglieder gewesen waren. Während es bei manchen möglicherweise Opportunismus war, war Spieler Johann Mock ein überzeugter Nazi.

Mock war bereits im Austrofaschismus Mitglied der NSDAP gewesen und trat nach dem „Anschluss“ medial als SA-Mann in Erscheinung. Die Austria wurde dann auch auf Propaganda-Tourneen geschickt.

Buchcover

Bild: Böhlau Verlag

Bei einem Spiel im besetzten Dänemark kam es 1941 sogar zu Schlägereien auf den Rängen, nachdem die Austria-Spieler den „Hitler-Gruß“ gezeigt hatten. Ebenfalls auffällig: Nach 1945 kam zwar Präsident Schwarz zurück – er war der einzige Funktionär, der nach dem Ende des NS-Regimes wieder aktiv wurde.

Brüche und Kontinuitäten

Mit ihrem Buch „Ein Fußballverein aus Wien“ haben die Autoren ein Werk geschaffen, das sich kritisch, seriös und grundsätzlich mit der Geschichte der Austria im NS-Regime auseinandersetzt. Die Autoren beschreiben, wie sehr der Einschnitt durch den NS-Terror das Gesicht des Vereins verändert hat.

Die Vienna und ihre jüdische Geschichte

Sie verschweigen aber auch nicht, welche Profiteure und Mitläufer es gab und welche Kontinuitäten nach 1945 weiter bestanden. So war etwa Bruno Eckerl 1938 zum neuen Vereinsführer bestellt worden. Eckerl wurde später auch Mitglied der NSDAP. Nach 1945 wurde er zwar vom zurückgekehrten Emanuel Schwarz ersetzt, doch ab 1957 wurde Eckerl neuerlich Präsident der Violetten.

In die Gegenwart holen

Diese umfassende Darstellung ist dem Buch hoch anzurechnen. „Dieses Buch ist kein Gefälligkeitsprodukt“, sagt Co-Autor Müllner. Er betont, dass es keinerlei Einflussnahme des Vereins gegeben hätte. Er möchte die Erkenntnisse des Buches auch ins Heute überleiten. „Aufarbeitung heißt Vergegenwärtigung“, sagt Müllner.

Konsequenterweise gibt es am Ende des Buches auch einige Absätze zu neueren Problemen mit Nazis in der Fanszene. In Anbetracht der Probleme bei der Austria hätte dieses Kapitel allerdings deutlich umfangreicher ausfallen können. Bei der Präsentation des Buches verwies Co-Autor Skocek auf meine Recherchen zur Fanszene. Doch es hätte sicherlich auch dem Buch gut getan, noch stärker auf diese Thematik einzugehen.

Mehr Aktivität notwendig

Auf meine Frage, welche weiteren Signale die Austria setzen wolle, sagt AG-Vorstand Kraetschmer, dass die Austria nun laufend ihre Mitarbeiter und Ordner schulen werde. „Als vor Kurzem ein Mann mit einem Trikot mit der Aufschrift 88 auf der Osttribüne auftauchte, haben wir sofort reagiert und diesen Mann verwiesen“, erzählt Kraetschmer. 88, also zweimal der achte Buchstabe im Alphabet, gilt als Code der Naziszene für „Heil Hitler“.

Und tatsächlich setzt die Austria gerade in jüngster Zeit einige, auch symbolisch wichtige, Handlungen. So haben etwa Spieler und Betreuer des Vereins am 8. November anlässlich des Gedenkjahrs 2018 gemeinsam das Mahnmal für die jüdischen Opfer des Holocaust in Wien besucht.

Austria würdigt Opfer des Holocaust

Doch damit wird es nicht getan sein. Klare Botschaften rund um das Stadion, eindeutiges Merchandising und auch eine klar konfrontative Haltung gegenüber den einschlägigen Elemente in der Fanszene wären der logische nächste Schritt.

Rekrutierungsbecken und Widerstand

Neonazis nützen die teilweise rechte Fanszene der Austria bereits seit einigen Jahren als Rekrutierungsbecken. So dürfte sich etwa die Nazigruppe „Unwiderstehlich“, die als Sammelbecken der Getreuen von Gottfried Küssel gilt, zu substantiellen Teilen aus Sympathisanten von „Unsterblich“ und Co zusammensetzen.

Sticker am Praterstern von "Tanzbrigade": Faust zerschlägt Logo der "Antifa"

Bild: Michael Bonvalot

Gleichzeitig sind weitere einschlägige Zusammenschlüsse entstanden, etwa die sogenannte „Tanzbrigade“ oder „Ballermann“. Die Übergänge zwischen den Gruppen verschwimmen dabei, Verbindungen reichen tief in den Kern der „ultraorientierten“ Austria-Fangruppen „Fanatics“ und „Sektion Inferno“. (Mehr dazu könnt ihr hier lesen).

Kurze Burschenschafter-Wege vom Neonazi-Security zur FPÖ-Spitze 

Für Gerhard von den antifaschistischen Austria-Fans von „Ostkurve statt Ustkurve“ kann die historische Aufarbeitung daher nur der erste Schritt sein. „Eine Aufarbeitung der Geschichte des Vereins ist enorm wichtig“, so Gerhard. „Doch nun geht es darum, die Erkenntnisse zu verwerten. Denn Lehren aus der Geschichte zu ziehen bedeutet, sich den Nazis heute entgegenzustellen.“

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