[AW] Umfragen zeigen: Linke Positionen und Forderungen wie die Millionärssteuer werden mehrheitlich unterstützt. Die Wahlen liefern jedoch andere Ergebnisse. Wie ist das erklärbar? Und gibt es überhaupt eine Chance, daran etwas zu ändern?
[Erstveröffentlichung: Arbeit und Wirtschaft] Spätestens seit dem Aufstieg Jörg Haiders Mitte der 1980er Jahre sprechen Medien im In- und Ausland von einem deutlichen „Rechtsruck“ im Land. Gleichzeitig gibt es aber auch klare Mehrheiten für mehr Verteilungsgerechtigkeit und fortschrittliche Sozialpolitik. Wie rechts ist Österreich also tatsächlich – und können soziale Forderungen eine Chance sein, das zu verändern?Im Frühjahr 2020 kratzte die ÖVP in einigen Umfragen gar an der absoluten Mehrheit. Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Unique Research für Profil von April 2020 gab der ÖVP unglaubliche 48 Prozent der Stimmen. Das war zwar am ersten Höhepunkt der Corona-Krise, und inzwischen sind die Werte zurückgegangen. Dennoch ist das enorm – so gut lag die ÖVP seit ihrer absoluten Mandatsmehrheit bei der Wahl 1966 nicht mehr. Und das ist immerhin mehr als 50 Jahre her.
„Das, was ich heute sage, ist vor 3 Jahren in der Europäischen Union von vielen als rechts oder rechtsradikal bezeichnet worden“, behauptete ÖVP-Chef Sebastian Kurz einst in einem ORF-Interview. Seit der Übernahme der Volkspartei durch Kurz scheint der Aufstieg der ÖVP fast unaufhaltsam. Bereits als die ÖVP die Nationalratswahl im Oktober 2017 gewann, war der Tenor eindeutig: „Der Rechtsruck“ titelte das Profil. „Österreich rückt nach rechts“, glaubten die deutschen Tageszeitungen Zeit und FAZ. Der bürgerliche Kurier ergänzte per Überschrift gar: ÖVP-Chef Sebastian Kurz sei ein „Wunderwuzzi“.
Eine rechte Mehrheit gibt es seit Jahrzehnten
Immer wieder bringen Medien seitdem ähnliche Berichte über die politischen Mehrheiten in Österreich. Vor allem nach der Bildung der schwarz-blauen (Ibiza-)Koalition wurde die angeblich neue rechte Mehrheit zum viel besprochenen Thema. Lang und breit wurde über die Gründe für den vermeintlich neuen Rechtsruck debattiert. Der Hintergrund, so heißt es oft, sei angeblich die Ankunft flüchtender Menschen in Österreich ab 2015. Ein Irrtum.
Tatsächlich ist hier überhaupt nichts neu. Bereits seit 1983 haben ÖVP, FPÖ sowie ihre verschiedenen Spaltprodukte durchgehend eine parlamentarische Mehrheit. Bei jeder einzelnen Nationalratswahl. Ein entscheidender Bruch war allerdings die Umwandlung der FPÖ von einer extrem rechten Honoratorenpartei zur modernisierten extrem rechten Wahlmaschine unter Jörg Haider. Die Partei konnte unter Haider ab 1986 schnell wachsen und holte ihre Stimmen dabei sowohl von der ÖVP als auch von der SPÖ. Bereits bei der Nationalratswahl 1986 konnte die FPÖ ihre Stimmen auf knapp 10 Prozent fast verdoppeln, 1990 waren es bereits knapp 17 Prozent, 1999 dann schon 26,9 Prozent – die FPÖ war mit der ÖVP gleich gezogen. Doch nach der Bildung der ersten schwarz-blauen Koalition im Februar 2000 zeigte sich bei der folgenden Wahl im Jahr 2002: Als die FPÖ in Chaos und Spaltungen zerbrach, wanderten ihre Stimmen fast ausschließlich zur ÖVP.
Menschen, die sich auf der Wahlebene nach rechts gewendet hatten, blieben auch dort. ÖVP, FPÖ und ihre Spaltprodukte wurden kommunizierende Gefäße: Werden die einen stärker, werden die anderen schwächer und umgekehrt. So ist es bis heute geblieben.
Projekt Ballhausplatz
Besonders gut zeigte sich das bei der Nationalratswahl 2017 – die ÖVP hatte 7,5 Prozent dazu gewonnen, danach wurde Sebastian Kurz erstmals Bundeskanzler. Schnell in Vergessenheit geraten war aber die Grundlage dieses Erfolgs: Bei den vorangegangenen Wahlen im Jahr 2013 waren sowohl das „Team“ des rechten Milliardärs Frank Stronach als auch die FPÖ-Abspaltung BZÖ angetreten. Und diese Stimmen waren frei geworden. Genau das erkannte auch die ÖVP-Fraktion rund um Sebastian Kurz. In strategischen Überlegungen der Partei – „Projekt Ballhausplatz“ – heißt es wörtlich, dass als Grundlinie im kommenden Wahlkampf auf „FPÖ-Themen“ gesetzt werden solle.
Die Strategie ging auf, im Wahlkampf 2017 sammelte die Kurz-ÖVP dann schlichtweg freiwerdende rechte Stimmen ein. Und genau dieser Trend setzte sich nach Ibiza weiter fort. Die addierte Zahl der Stimmen für ÖVP und FPÖ und ihrer Spaltprodukte ist heute allerdings nicht höher als im jahrzehntelangen Schnitt. Sie verteilen sich nur anders.
Das bedeutet aber gleichzeitig auch: Wir haben es hier mit Wahltraditionen zu tun, die über Generationen und Jahrzehnte verfestigt sind – hier gibt es keine schnellen Lösungen und keine Abkürzungen. Zur Erinnerung: Seit 1918 (!) gab es bei Wahlen ausschließlich von 1971 bis 1983 keine gemeinsame Mehrheit der bürgerlichen, extrem rechten und (in der ersten Republik auch) faschistischen Parteien.
Wie rechts ist Österreich? Und wie links?
Wenn es allerdings nicht um Parteien, sondern um politische Überzeugungen geht, ist die Sache gar nicht mehr so eindeutig. Wie sich die Menschen in Österreich politisch selbst sehen, zeigt eine repräsentative Umfrage des Meinungforschungsinstituts Market für den Standard im August 2019.
Die 800 Teilnehmer*innen der Umfrage wurden gebeten, ihre eigene Einstellung zu beurteilen: „Wenn Sie sich selbst einschätzen würden – wie weit links oder rechts sind Sie von Ihrer politischen Einstellung?“ Dabei zeigte sich, dass Männer sich auf einer von 0 bis 100 reichenden Skala genau in der Mitte (50,14) einordneten, Frauen etwas weiter links bei 45,93. Das ergab insgesamt im Selbstbild eine Mehrheit links der Mitte.
Spannend ist auch eine Umfrage von Unique Research für Profil vom Februar 2015. Dort deklarierten sich 25 Prozent der Bevölkerung eindeutig als „links“, 22 Prozent als „rechts“, 41 Prozent sahen sich selbst in der politischen Mitte. Ein knappes Viertel konnte sich vorstellen, eine Partei wie die griechische Syriza zu wählen. Die Syriza (Koalition der radikalen Linken) stellte ab Jänner 2015 die Regierung Griechenlands und präsentierte sich vor allem kurz nach ihrem Wahlsieg europaweit als linke Alternative zum Austeritätsprogramm der EU. Interessanterweise gaben im Februar 2015 auch 27 Prozent der FPÖ-Wähler*innen an, dass sie sich eine Stimme für Syriza vorstellen könnten. Das zu Beginn sehr offensive Auftreten der Syriza machte also offenbar auch Eindruck auf Rechts-Wähler*innen.
Rassismus ist weit verbreitet
Solche Links-Rechts-Umfragen haben allerdings immer ein großes Problem: Es handelt sich um Selbsteinschätzungen und die Begriffe „links“ und „rechts“ sind letztlich diffus. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern gibt es in Österreich etwa bereits seit vielen Jahren eine besonders hohe Zustimmung zu rassistischen Positionen. Wähler*innen der „Mitte“ haben in Österreich Positionen zu Zuwanderung, wie sie sich etwa in Deutschland, der Schweiz oder den Niederlanden vor allem bei Wähler*innen extrem rechter Parteien finden. Das zeigt die regelmäßige EU-weite Umfrage European Social Survey.
Ebenfalls spannend ist allerdings, dass diese Einstellungen hierzulande heute ungefähr auf dem gleichen Niveau sind wie 2014. Die oft behauptete negative Auswirkung der Ankunft geflüchteter Menschen auf die öffentliche Meinung ist in Österreich laut Europabarometer langfristig schlichtweg nicht feststellbar.
Fast 80 Prozent wollen Umverteilung
Im Gegenzug dazu ist allerdings auch die Zustimmung zu staatlicher Umverteilung in Österreich im internationalen Vergleich überdurchschnittlich populär. Kaum ein ähnlich reiches Land weist dermaßen hohe Werte auf – und die Zustimmung hat in den letzten Jahren sogar noch zugelegt. Der Aussage „Der Staat soll Maßnahmen ergreifen, um Einkommensunterschiede zu reduzieren“ stimmten in Österreich 2018/19 enorme 51 Prozent der Bevölkerung „stark“ zu, weitere 28 Prozent „stimmten zu“. Gerade einmal neun Prozent lehnten diese Aussage ab. Neuere Umfragen bestätigen das.
So wollen laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitut IFES vom Februar 2020 ganze 66 Prozent der Bevölkerung eine Millionärssteuer. Und sogar 80 Prozent meinen, dass Konzerne zu wenig Steuern zahlen. Auch andere sozialpolitische Themen sind enorm populär. So wünschen sich 60 Prozent aller Beschäftigten und sogar 72 Prozent aller Frauen eine Arbeitszeit von höchstens 35 Stunden. Das zeigt eine repräsentative IFES-Umfrage im Auftrag der GPA-djp vom Herbst 2019.
Die Mindestsicherung als warnendes Beispiel
Rechte Parteien machen immer wieder Menschen mit Migrationshintergrund oder geflüchtete Menschen zu Sündenböcken, um soziale Kürzungen umsetzen zu können. Ein konkretes Beispiel für diese gefährliche Entwicklung ist die Diskussion um die Mindestsicherung. Ab 2016 haben vor allem FPÖ, ÖVP und NEOS die Themen Mindestsicherung und Asyl immer stärker miteinander verknüpft. Im Jahr 2016 etwa enthielten 80 Prozent (!) aller Aussendungen des FPÖ-Parlamentsklubs zum Thema Mindestsicherung eine Verknüpfung mit dem Thema Asyl.
Das Trommelfeuer zeigte Wirkung. Alle neun Landesregierungen haben in den folgenden Jahren die Mindestsicherung gekürzt und/oder die Zugangsbestimmungen verschärft. Das Ergebnis: Teils enorme Kürzungen für die Ärmsten der Armen – völlig unabhängig von ihrer Herkunft und Staatsbürgerschaft.
Entsolidarisierung und Rechtsruck
Und schließlich gibt es auch noch einen fatalen Langzeiteffekt: So wurde etwa in einer repräsentativen Umfrage im Jahr 2017 die Zustimmung zu folgender Aussage abgefragt: „Der Sozialstaat macht die Menschen träge und faul.“ Gleichzeitig wurden die Teilnehmer*innen der Umfrage gefragt, wie sie zum Thema Zuwanderung stehen. Das Ergebnis ist eindeutig: Je negativer die Meinung über Zuwanderung, desto negativer auch die Meinung über den Sozialstaat. In der Gruppe der Menschen, die Zuwanderung (eher) negativ sehen, sind 54 Prozent der Meinung, der Sozialstaat würde „träge und faul“ machen. Bei jenen, die Zuwanderung (eher) positiv sehen, ist es dagegen mit 29 Prozent gerade einmal etwas mehr als ein Viertel.
Es zeigt sich: Rassismus entsolidarisiert die Bevölkerung und zerstört den Sozialstaat. Menschen, die Zuwanderung positiv sehen, sind dagegen auch die besten Verbündeten im Kampf um mehr soziale Absicherung.
Was die Menschen wirklich bewegt
Wähler*innen stimmen oftmals ideologisch ab – und damit auch gegen ihre eigenen sozialen Interessen. So zeigen etwa verschiedene große Umfragen sowohl für Nationalratswahlen wie für Wiener Wahlen, dass Wähler*innen der FPÖ keineswegs vor allem „Protestwähler*innen“ sind. Im Gegenteil: Es zeigt sich, dass das Thema Migration alle anderen Themen komplett überlagert und sie sogar besonders „programmbewusst“ wählen. Der Befund trifft übrigens zunehmend auch auf die ÖVP zu: Indem sie Wähler*innen von Rechtsaußen gewinnt, ändert sich natürlich auch ihre eigene Basis, wie Studien zeigen.
Gleichzeitig gibt es aber auch viele andere Themen, die die Bevölkerung bewegen. „Was sind Ihrer Meinung nach die beiden wichtigsten Probleme, denen Österreich jetzt gegenübersteht?“ So lautet die Frage im regelmäßig abgefragten Eurobarometer. Die Antworten aus Österreich: Ganz vorne liegen Umwelt, Klima und Energie. Danach folgen Lebenshaltungskosten, Gesundheit und soziale Sicherheit. Und erst dann wird Migration genannt, gleichauf mit dem Bildungssystem.
Gerade die Corona-Krise zeigt erneut die Wichtigkeit sozialer Themen: Ein funktionierendes Gesundheitssystem, anständige Löhne, Arbeitsplätze, leistbare Mieten und ganz allgemein eine hohe Lebensqualität. Dazu kommt die Sorge um die Klimakrise, die uns alle trifft. In all diesen Fragen vertritt die Rechte Positionen für Banken, Konzerne und Superreiche und gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Gleichzeitig denken große Teile der Bevölkerung in all diesen Fragen „links“.
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