Pressefreiheit: Fotojournalist wird bei Aufmärschen extremer Rechter von Polizei behindert

Bild: Lorenzo Vincentini

[profil] Fotojournalist Lorenzo Vincentini berichtet über Aufmärsche der extremen Rechten. Nun steht er im Visier der Behörden: Videos zeigen, wie er von der Polizei an seiner Arbeit gehindert wird. Mehrere Gerichtsverfahren laufen.

[Erstveröffentlichung: profil] Während der Burschenschafter gerade seine Rede hält, ist im Video plötzlich eine zweite Stimme zu hören. Sie gehört einer Polizistin. Die Rampe der Universität Wien sei „reserviert für diese Kundgebung“, der Journalist Lorenzo Vincentini solle „Respektabstand“ halten. Es ist der 8. Jänner 2020, wie fast jeden Mittwoch marschieren extrem rechte Burschenschafter auch an diesem Tag vor der Universität Wien auf.

„Mich stört es, das reicht vollkommen“

Auf dem Video, das profil vorliegt, macht der Fotojournalist ein Video, er nimmt die Rede der Burschenschafter auf. Kurz: Er macht seinen Job. Doch die Polizistin definiert Pressefreiheit offenbar anders. „Hat sich wer beschwert?“, fragt Vincentini. „Mich stört es, das reicht vollkommen“, antwortet die Beamtin.

Danach zeigt das Video, wie die Polizistin den Fotografen immer weiter von den Burschenschaftern wegstößt – im Hintergrund feixende Deutschnationale, die ihren Spaß an der Szene zu haben scheinen. Als der Fotograf die Polizistin auffordert, sich an die Gesetze zu halten, antwortet sie, es gäbe auch „Gesetze der Sittlichkeit“.

Der 26-jährige Vincentini hat sich beruflich auf die extreme Rechte fokussiert. Bei diesem Thema kann der Journalist sein berufliches Interesse mit seiner persönlichen Überzeugung verbinden: „Solche Umtriebe müssen auf jeden Fall dokumentiert werden“, sagt der laut Eigendarstellung „überzeugte Antifaschist“. Vincentini: „Niemand soll später sagen, er oder sie hätte es nicht gewusst.“

Bild: Laurenzo Vincentini

Und so fotografiert Vincentini etwa die wöchentlichen Auftritte der Burschenschafter auf der Uni Wien, die Vorlesungen des umstrittenen Wiener Professors Lothar Höbelt oder Umzüge der neofaschistischen Gruppe „Identitäre“. Was ihm besonders wichtig ist? „Professionelles Auftreten ist für mich absolute Selbstverständlichkeit, das ist nicht zuletzt ein Selbstschutz.“ Bilder und Tonaufnahmen würden ohnehin für sich selbst sprechen.

„Weil Sie eine Anzeige kriegen, ganz einfach“

Der Polizei ist Vincentinis Arbeit offenbar ein Dorn im Auge. Insgesamt 15 Videos, die profil vorliegen, zeigen Szenen, wo der Fotojournalist von Beamten an seiner Arbeit gehindert wird. Im Juni 2019 etwa erklärt eine Polizistin, wenn Vincentini sich nicht vom Aufmarsch der Burschenschafter entfernen würde, würde er „eingesperrt“. Die erstaunliche Begründung der Polizistin: „Die Herrschaften wollen nicht, dass Sie da sind.“ Nachdem Vincentini die Beamtin um ihre Dienstnummer ersucht, verlangt diese seinen Ausweis – obwohl es in Österreich keine Ausweispflicht gibt. Ihre Erklärung: „Weil Sie eine Anzeige kriegen, ganz einfach.“ Eine Begründung für die Drohung gibt es trotz Nachfrage nicht.

Teilweise reagieren die Polizisten sogar auf direkte Aufforderung extrem rechter Kreise. Auf einem Video verlangt ein Burschenschafter, die Polizei solle den Journalisten wegweisen, das sei bereits „guter Brauch der letzten Monate“. Ein Polizist reagiert und fordert Vincentini auf, sich zu entfernen.

Dürfen die rechten Burschenschafter wirklich auf der Uni Wien aufmarschieren?

Noch deutlicher wird das Zusammenspiel bei einem Aufmarsch der Gruppe „Identitäre“ am 7. September 2019 in der Wiener Innenstadt. Die Wiener FPÖ-Stadträtin Ursula Stenzel hält bei der Schlusskundgebung am Karl-Lueger-Platz eine Rede – danach wird sie behaupten, sie habe nicht gewusst, auf einer Veranstaltung der Identitären zu sprechen. Vincentini ist anwesend und macht Fotos. Ein Video zeigt, wie vom Lautsprecherwagen der Rechten die Forderung ertönt: „Stamperts den Lorenzo da weg!“ Unmittelbar danach wird Vincentini von einem Polizisten weggedrängt. Sein Hinweis, dass er Journalist mit Presseausweis sei, beeindruckt den Beamten wenig. Begründung für die Amtshandlung: „Weil ich es Ihnen sage.“ Vincentini: „Mit solchen Schikanen besorgt die Polizei das Geschäft der extremen Rechten.“

Die Polizei bekam von profil eine Reihe von Videos zur Verfügung gestellt. Nach mehreren schriftlichen Nachfragen sagt Polizeisprecherin Daniela Tunst als Reaktion, es würde überprüft, „ob dienstliche Verfehlungen vorliegen“.

Vincentini mit Behördenbriefen. Bild: Julia Spačil

Der Konflikt zwischen dem Journalisten und der Polizei wird auch vor Gericht ausgetragen. Mehrmals wurde Vincentini bereits angezeigt, die Anzeigen liegen profil vor. Einmal wird ihm vorgeworfen, Mitveranstalter einer Gegenkundgebung gewesen zu sein. Ein anderes Mal wird er wegen Verletzung der Bannmeile angezeigt. Während der Sitzungen darf im Umkreis von 300 Metern um das Parlament keine Kundgebung stattfinden. Vincentini hatte eine Kundgebung in der Nähe des Parlaments fotografiert.

Amtshandlungen nur auf Basis der Rechtsgrundlage

Auch der Fotograf geht nun vor Gericht. Im September 2019 wurde ein erster Fall vor dem Verwaltungsgericht Wien verhandelt: Vincentini hatte eine Maßnahmenbeschwerde eingelegt, nachdem ihn die Polizei im März 2019 bei einem Burschenschafter-Aufmarsch weggewiesen hatte. Der Journalist hat gewonnen.

Doch auch nach dem Urteil kam es zu weiteren Wegweisungen. Das beklagt die Juristin Nora Pentz von der Rechtsanwaltskanzlei Clemens Lahner, sie hat Vincentini vor Gericht vertreten. Mit dem Urteil zeigt sich Pentz zwar zufrieden, doch sie sagt auch: „Die aktuellen Videos sind sehr ähnlich wie der Fall, den wir bereits gewonnen haben, die Erklärungen der Polizisten sind großteils schlicht absurd.“ Pentz fordert, dass Urteile auch Auswirkungen auf die Praxis haben: „Beamtinnen und Beamte müssen verstehen, dass sie Amtshandlungen nur auf Basis der Rechtsgrundlage durchführen dürfen.“

Vor Gericht: Warum ich mich gegen Polizei-Schikane bei Rechtsextremismus-Recherche wehre

Eine weitere Maßnahmenbeschwerde von Vincentini soll im April verhandelt werden. Der Journalist hatte am Rande einer türkisch-nationalistischen Kundgebung am Wiener Stephansplatz eine Amtshandlung gefilmt, was in Österreich erlaubt ist. Auf einmal soll sein eigener Ausweis kontrolliert werden, wie eines der Videos zeigt. Vincentini zeigt seinen Presseausweis und ersucht um eine rechtliche Grundlage – wozu er gesetzlich berechtigt ist. Als Reaktion behauptet einer der Polizisten, er hätte einen „Suchtgiftgeruch wahrgenommen“. Nach der Ausweiskontrolle ist der Suchtgift-Vorwurf offenbar auf einmal vom Tisch. „San S’ froh“, bekundet ihm ein Beamter.

„Die Pressefreiheit ist ein Grundrecht“

Vincentini ist nicht der einzige betroffene Journalist. Lukas Lottersberger etwa, Redakteur des ORF-Senders FM4, wollte Ende Jänner einen Burschenschafter auf der Rampe der Uni Wien interviewen. Im Radiobeitrag ist die Antwort des Polizisten zu hören: „Na, Sie kennan net zuwe.“ Lottersberger sagt, dass er eindeutig als Journalist erkennbar gewesen wäre: „Ich hatte sogar ein Aufnahmegerät mit FM4-Mikroschutz.“ Auch Gerhard Kettler vom Radiosender Orange 94.0 kennt das Problem: „Ich musste mehrmals erleben, dass die Polizei Exklusivbereiche für extreme Rechte macht, wo Medien keinen Zugang haben.“ Doch er müsse nahe zum Geschehen kommen: „Sonst kann ich als Radiojournalist keine Aufnahmen machen.“

Und die polizeiliche Vorgangsweise könnte sich weiter verschärfen. Zissi Fritsche, stellvertretende Vorsitzende der Österreichischen HochschülerInnenschaft an der Uni Wien, berichtet von einer Besprechung bei der Polizei Ende Jänner: „Die Beamten haben wörtlich angekündigt, künftig verstärkt mit Anzeigen gegen Medienvertreter vorzugehen.“ Polizeisprecherin Tunst hingegen sagt, dass Fritsche lediglich darüber aufgeklärt worden wäre, dass es zu Anzeigen kommen könne, „wenn durch das Verhalten von Personen die öffentliche Ordnung gestört“ würde.

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Die Generalsekretärin des Presseclub Concordia, Daniela Kraus, zeigt sich jedenfalls besorgt: „Es wäre nicht das erste Mal, dass Medien, die von Demos berichten, bei ihrer Arbeit behindert werden. Kraus fordert, dass es „auch bei Demonstrationen nicht zu einer Einschränkung der Pressefreiheit kommen darf“.

Vincentini sitzt unterdessen im Gespräch mit profil vor einem Berg an Akten und Behördenschreiben. Der Fotograf wirkt müde, aber entschlossen: „Die Pressefreiheit ist ein Grundrecht. Und das muss verteidigt werden.“

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