Neonazis und Sängerknaben

Aufmarsch der neofaschistischen Gruppe Identitäre am 31. Juli 2021 in Wien. Bild: Michael Bonvalot

Österreich: Faschistische Gruppierungen profitieren von der FPÖ. Die Partei heizt rechte Stimmung im Land auf.

[Erstveröffentlichung: junge welt] Exakt 49,65 Prozent der Stimmen bekam FPÖ-Kandidat Norbert Hofer bei der Bundespräsidentschaftswahl im Mai 2016, die in Österreich als Volkswahl durchgeführt wird. Es war wohl das beste Ergebnis für einen Kandidaten der äußersten Rechten bei einer Wahl in Westeuropa nach 1945. Einzig Ballungszentren wie Wien, Graz, Linz oder Salzburg retteten die knappe Mehrheit für den Grünen-Kandidaten Alexander Van der Bellen. Das Ergebnis der Wahl wurde nach Formfehlern aufgehoben – bei der Wahlwiederholung im Dezember 2016 waren es immer noch 46,2 Prozent für den FPÖ-Kandidaten.

FPÖ 2.0

Der ÖVP-Flügel rund um den jetzigen Bundeskanzler Sebastian Kurz hat nicht zuletzt aus dieser Wahl das Ziel abgeleitet, durch einen strategischen Rechtsruck die Führungsrolle im rechten Lager zu übernehmen. Das zeigten später aufgetauchte interne Dokumente: Wörtlich hieß es, die ÖVP solle künftig auf »FPÖ-Themen« setzen. Gleichzeitig hat die Wahl 2016 das enorme Potential der extremen Rechten in Österreich aufgezeigt – nicht zuletzt ein Warnhinweis an jene, die denken, dass es dafür eine Art natürliche Decke geben würde.

Zwischen der extremen Rechten in Deutschland und Österreich gibt es zentrale Unterschiede. Mit der FPÖ existiert in Österreich durchgehend seit 1949 ein parlamentarischer Arm der äußersten Rechten. Entstanden war die Partei als Anlaufpunkt für jene Nazis, die nach dem Ende der faschistischen Herrschaft nicht bei Sozialdemokratie oder ÖVP andocken wollten. Mit der FPÖ ist die extreme Rechte nicht nur im Parlament, sondern auch im Staatsapparat, in staatsnahen Unternehmen, in Ländern und Gemeinden verankert – was nicht zuletzt sehr viele gutbezahlte Posten bringt. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass die »Blauen«, wie die FPÖ auch genannt wird, Bürgermeister stellen oder dass andere Parteien Koalitionen mit ihnen eingehen. Mit all dem ist die FPÖ politisch enorm wirkmächtig und befeuert ein rechtes Klima im Land.

Zentrale Verbindungen

Zugleich ist die offene neonazistische Rechte in Österreich weit schwächer als in der BRD. Die FPÖ saugt auf und ist Sammelbecken für alles, was rechts ist. Ein Paradebeispiel dafür ist der frühere Parteichef Heinz-Christian Strache: Der Exneonazi hatte es immerhin zum Vizekanzler geschafft. Ein Grund für diese Funktion der FPÖ ist das sogenannte Verbotsgesetz. Es stellt »nationalsozialistische Wiederbetätigung« unter einen weit höheren Strafdruck als in Deutschland. Somit können sich Nachwuchskader entscheiden, ob sie ins Gefängnis gehen wollen oder doch lieber ins Parlament. Die meisten entscheiden sich für letzteres.

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Zentral für die Partei und die gesamte extreme Rechte sind dabei deutschnationale Studentenverbindungen, also etwa Burschenschaften, Landsmannschaften oder Corps. Die Korporationen stellen die wichtigste Personalreserve und den Kern der FPÖ. Das Verhältnis ist wechselseitig: So beschrieb etwa einst Andreas Mölzer, zweimaliger FPÖ-Spitzenkandidat zu den EU-Wahlen und »Alter Herr« des Grazer »Corps Vandalia«, die Bedeutung der Partei für die Verbindungen sehr plastisch: Ohne sie würden diese »nationalliberalen« Strukturen in Österreich nur »im vorpolitischen Raum, folkloristisch gewissermaßen, erhalten« bleiben. Sie wären nicht mehr »politisch prägewirksam«. Dass diese These ihre Berechtigung hat, zeigt sich in Deutschland, wo deutschnationale Verbindungen vor der Gründung der AfD ein Randdasein führten – und es bis heute wenig öffentliches Bewusstsein für ihre steigende Bedeutung durch die AfD gibt.

»Identitäre« Sängerknaben

Gleichzeitig bilden die Korporierten das zentrale Scharnier für so gut wie alle Strömungen der extremen Rechten in Österreich. So sind die meisten FPÖ-Spitzenfunktionäre genauso korporiert wie Neonaziführer Gottfried Küssel und sein Kaderkern oder das Führungspersonal der faschistischen Gruppe »Identitäre Bewegung« (IB) rund um IB-Gesicht Martin Sellner. Er und seine Gruppierung hatten dabei jahrelang vor allem bei der Wiener Verbindung »Sängerschaft Barden« angedockt. In den Verbindungshäusern kommen die zentralen Akteure aller Strömungen zusammen, tauschen sich aus – und die FPÖ rekrutiert. Gleichzeitig bilden Burschenschaften und FPÖ für die offene Neonaziszene einen Schutzschild vor behördlicher Verfolgung und Verbotsgesetz.

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Immer funktioniert das aber nicht. Küssel und Co. mussten wiederholt längere Haftstrafen antreten – was gleichzeitig Heldenstatus in der Szene bringt. Küssel selbst galt in den 1990er Jahren als einer der wichtigsten Kader des gesamten deutschsprachigen Raums. Damals hatte er sein Lager in einem von Neonazis besetzten Haus in der Berliner Weitlingstraße. In jüngster Zeit dockt seine Truppe nun an die deutsche Neonazipartei »Der III. Weg« an. Die Gruppe um Küssel tritt nach einer Phase der Klandestinität als »Corona Querfront« bei den rechtsdominierten Coronaaufmärschen auch öffentlich auf. Dort trifft sie unter anderem auf ihre früheren »Kameraden« aus der IB.

Deren erster Führungskern rund um Martin Sellner hatte sich – nicht zuletzt aufgrund des Repressionsdrucks durch das Verbotsgesetz – Anfang der 2010er Jahre von der Küssel-Gruppe abgespalten und war vom Nationalsozialismus zum Faschismus übergegangen. Nachdem der in Österreich nicht verboten ist, konnte die IB offen auftreten und von Österreich aus auch Strukturen in Deutschland aufbauen. Doch nach einem Aufschwung ab 2015 stagniert die »Identitäre Bewegung«, bundesweit organisiert sie gerade einmal eine niedrige dreistellige Anzahl von Anhängern.

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Das zeigte sich auch Ende Juli in Wien bei einem Aufmarsch gegen das Verbot ihrer Symbole: Trotz Abordnungen aus Deutschland und Frankreich konnten die »Identitären« nur knapp mehr als 300 Personen mobilisieren. Gleichzeitig versucht die IB aktuell, über Zentren in Wien, im Großraum Linz und in der Steiermark eine langfristige Basis aufzubauen. Das Geld kommt zu einem nicht unwesentlichen Teil aus der BRD. Offensichtlich im Konkurrenzkampf mit der Truppe rund um Küssel versucht die IB zudem zunehmend militant aufzutreten. Sie möchte nun, etwa durch vermummtes Auftreten, »gute, junge, sportliche Männer« rekrutieren, wie jüngst ein Sprecher der rechten Plattform »Ein Prozent« sagte.

Ob und in welchem Ausmaß die einzelnen Gruppen bewaffnet sind, ist offen. Sicher ist, dass es immer wieder enorme Waffenfunde in der Szene gibt, jüngst etwa im Dezember 2020, und im Juli 2021 bei einer Zelle um einen früheren Mitstreiter von Küssel. Was mit den zahlreich gefundenen Maschinenpistolen, Pistolen, Revolvern und dem Sprengstoff passieren sollte? Laut Behörden sollte eine »Miliz der Anständigen« in Deutschland aufgebaut werden. Es ist ein weiterer eindringlicher Hinweis auf die grenzüberschreitende Gefahr, die von österreichischen Faschisten ausgeht.

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