Die Linzer Polizei erfindet Gesetze für Demo-Verbote

Bild: Michael Bonvalot

Die Linzer Polizei hat eine Tierrechts-Demo mit absurden Corona-Begründungen untersagt. Wir haben den eindeutig rechtswidrigen Untersagungsbescheid jetzt erstmals erhalten – und die Polizei damit konfrontiert.

  • Eine Recherche von Nick Wolfinger und Michael Bonvalot

Eigentlich hatten sich die VeranstalterInnen ganz korrekt verhalten. Am 10. Juli hätte am Linzer Hauptplatz eine Kundgebung mit dem Titel „Shutdown der Tierindustrie – für Gesundheit und Klima, gegen Corona-Gefahr“ samt anschließendem Demonstrationszug zum Schlachthof in der Holzstraße stattfinden sollen. Etwa 100 TeilnehmerInnen waren vom Anmelder für diese Versammlung erwartet worden.

Völlig korrekte Anmeldung

Am 8. Juli – also rechtlich völlig korrekt mehr als 48 Stunden vor geplantem Versammlungsbeginn – erfolgte die Anzeige der Versammlung bei der zuständigen Behörde. In der Versammlungsanzeige, die uns vorliegt, wurde auch auf die seit Inkrafttreten der Corona-Verordnungen Mitte März geltenden Sicherheitsvorkehrungen ausführlich eingegangen. Also Mund-Nasen-Schutz aller TeilnehmerInnen, Ein-Meter-Abstand und Desinfektionsmittel.

Dennoch untersagte die Landespolizeidirektion Oberösterreich (LPD OÖ) am 9. Juli die Versammlung mit der Begründung, „dass es aufgrund COVID-19-Epidemiegesetz dzt. nicht möglich ist, eine mobile Versammlung abzuhalten“. Einer Kundgebung entgegenstehen würden die „COVID-19-Maßnahmengesetze“ und die Verordnungen, auf „deren Grundlage“ sie erlassen wurden. Der Untersagungsbescheid liegt uns vor.

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Stattdessen wäre dem Anmelder ausschließlich eine Standkundgebung angeboten worden, „da ein gemeinsames ‚Gehen‘ aufgrund der derzeit stark ansteigenden Covid-19-Fälle in Linz […] nicht möglich ist“, wie es im Untersagungsbescheid heißt.

Als Reaktion auf die Untersagung hatte sich der Anmelder an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich gewandt, Ende August wurde die Untersagung nachträglich aufgehoben. Oberösterreichische Medien hatten kurz darüber berichtet. Doch wir haben nun erstmals den Untersagungsbescheid – und der ist schlichtweg absurd.

Polizei erfindet Gesetze

Denn die Begründung der Landespolizeidirektion Oberösterreich (LPD OÖ) deckt sich in keiner Weise mit der zum fraglichen Zeitpunkt – und nach wie vor – gültigen Rechtslage. Ein „COVID-19-Epidemiegesetz“, auf das sich die Linzer Polizei wörtlich bezieht, gibt es etwa schlichtweg nicht.

Die LPD OÖ schreibt in ihrer Untersagung weiter wörtlich, dass sie die Versammlung untersagen würde, um „die weitere Verbreitung von COVID-19 möglichst hintanzuhalten“. Doch die tatsächliche rechtliche Basis für Versammlungen ist die sogenannte Covid-19-Lockerungsverordnung. Und in dieser Verordnung, die seit 1. Mai 2020 in Kraft ist, sind Demonstrationen ausdrücklich gestattet.

Demos sind selbstverständlich erlaubt

Laut LPD OÖ (…) würde eine Demo „dem verfolgten Gesundheitsziel diametral zuwiderlaufen“. Es sei daher „eine Empfehlung der Gesundheitsbehörde“, dass „derzeit höchstens Standkundgebungen zuzulassen“ seien. Doch diese Darstellung der LPD OÖ widerspricht schlichtweg der bereits damals gültigen COVID-19-Verordnung und damit der Gesundheitsbehörde.

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Im Paragraf 10 dieser Verordnung heißt es explizit, dass Versammlungen zulässig sind, wenn die TeilnehmerInnen einen Mund-Nasen-Schutz tragen oder mehr als einen Meter Abstand voneinander halten, sofern sie nicht im gemeinsamen Haushalt leben. Und diese Verordnung wurde vom Gesundheitsministerium herausgegeben – also der obersten Gesundheitsbehörde.

Eigentlich müsste all das auch der LPD OÖ gut bekannt sein – immerhin hatte bereits am 26. April in Linz der vermutlich erste nicht-untersagte Demo in der Corona-Krise stattgefunden. (Mehr darüber könnt ihr hier lesen.)

Linzer Polizei erfindet eine „Mitwirkungspflicht“

In der Untersagung wird dem Anmelder schließlich auch noch unterstellt, dass er eine angebliche „Mitwirkungspflicht“ verletzt hätte. Zu einem von der Behörde angesetzten Besprechungstermin wäre er „unentschuldigt nicht erschienen“ und wäre dann gar zusätzlich bei einem Anruf nicht erreichbar gewesen.

Im Versammlungsgesetz ist eine solche „Mitwirkungspflicht“ im Vorfeld einer Versammlung allerdings schlichtweg nicht vorgesehen. Der Rechtsanwalt Clemens Lahner ist auf Grundrechtsfragen spezialisiert. Er erklärt das übliche Verfahren – und widerspricht der Behörde deutlich. Es sei zwar „gängige Praxis der Polizei“, die AnmelderInnen zu kontaktieren, falls „ihr eine angemeldete Versammlung aus irgendeinem Grund problematisch erscheint“.

Aber, so Lahner: „Wer als AnmelderIn davon ausgeht, dass die Demo in der angemeldeten Form dem Gesetz entspricht und sich auf keine Änderung von Route / Uhrzeit / etc. einlassen möchte, muss auch nicht an einer durch die Polizei angesetzten Besprechung teilnehmen oder für diese telefonisch erreichbar sein.“ Die „Nichtteilnahme“ an einer Besprechung oder die mangelnde telefonische Erreichbarkeit sei sicher kein Argument für den Untersagungsbescheid, „weil es die behauptete Mitwirkungspflicht einfach nicht gibt“, so Lahner eindeutig.

Wir haben die Polizei mit diesen Fragen konfrontiert

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Mit all unseren Fragen haben wir uns an die Polizei in Linz gewandt. So wollten wir etwa wissen, „auf welche Gesetze / Erlässe / Verordnungen / Judikatur (bitte jeweils mit Paragraf/Urteil)“ sich die Untersagung stützt. Eine Antwort darauf haben wir nicht erhalten.

Josef Hanl von der LPD OÖ sagt in einer schriftlichen Stellungnahme lediglich, dass der Begriff „COVID-19 Maßnahmengesetze“ in der Untersagung nur „als allgemeiner, erklärender, zusammenfassender Begriff in Bezug auf die einschlägigen [COVID-19]-Bestimmungen“ gemeint gewesen sei.

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Weiter wollten wir wissen, wo wir denn ein angebliches „COVID-19-Epidemiegesetz“ finden könnten. Auch hier sagt Hanl jetzt, dass es sich um „unzählige Bestimmungen“ handeln würde, die „zur Eindämmung der Pandemie COVID 19 erlassen wurden“, unter anderem auf das Epidemiegesetz. Die falsche Gesetzesangabe in der Untersagung sei lediglich ein „Hinweis“, dass es um COVID-19 gehen würde.

Schließlich wollten wir von der LPD Linz auch wissen, wo wir mehr über eine angebliche „Mitwirkungspflicht“ der Anmelder im Vorfeld einer Versammlung erfahren könnten. Hanl behauptet: Die „ergibt“ sich aus dem Versammlungsgesetz und weiteren Gesetzen.

Rechtsanwalt warnt vor Angriff auf Versammlungsfreiheit

Auch hier widerspricht Rechtsanwalt Lahner eindeutig: „Das Versammlungsgesetz sieht zwar bestimmte Pflichten für LeiterInnen und OrdnerInnen einer Versammlung vor.“ Sie hätten etwa während der Versammlung dafür zu sorgen, dass diese gesetzmäßig abläuft. „Wenn sie das nicht tun oder wenn ihren Anweisungen nicht Folge geleistet wird, kann die Versammlung aufgelöst werden“, erklärt der Rechtsanwalt.

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Doch Lahner stellt klar: „Eine ‚Mitwirkungspflicht‘ der AnmelderInnen zwischen Anmeldung und Beginn der Versammlung ergibt sich aus keinem Gesetz.“ Der Rechtsanwalt warnt auch: „Derartigen Versuchen der Polizei, zusätzliche, im Gesetz nicht vorgesehene Argumente für die Untersagung einer Versammlung zu erfinden, muss entschieden entgegengetreten werden, weil ansonsten das Versammlungsrecht ausgehöhlt würde.“

Linzer Polizei gegen Recht auf Demonstrationen

Auch die Verfassungsexpertin Brigitte Hornyik zeigt sich vom Vorgehen der LPD OÖ sehr verwundert: „Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut.“ Von den Behörden müsse daher erwartet werden können, dass sie bei ihren Begründungen korrekt agieren. Es sollte „eigentlich selbstverständlich“ sein, dass sich Behörden bei der „Einhaltung der Verfassung, der Gesetze, der Verordnungen“ korrekt verhalten.

Es ist nicht das erste Mal in jüngster Zeit, dass die Linzer Polizei Kundgebungen und Demonstrationen verbieten will. So wurden etwa Ende Juli Demos für einen autofreien Linzer Hauptplatz untersagt. Dass die Polizei nun aber auch noch Gesetze erfindet, ist wohl eine neue Qualität. Manche Menschen sind rechtskundig, lassen Sie das nicht gefallen und gehen vor Gericht.

Viele andere Menschen könnten durch solche rechtswidrigen Untersagungen aber eingeschüchtert werden und glauben, dass sie nun tatsächlich nicht demonstrieren dürfen. Das ist eine enorm gefährliche Entwicklung. Es sollte klar sein: Die Polizei muss sich an Gesetze halten – und darf sie nicht erfinden.

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